„Feuchtsalz ist eine sichere Sache“

Wenn Schneemassen über die Stadt hereinbrechen, bleibt nur ein Mann richtig cool: Winfried Becker, Chef des Winterdienstes der BSR. Nach einer harten Woche erklärt er die Vorteile von Feuchtsalz, die Nachteile von Splitt und warum Berlin ein hartes Pflaster für Glatteis ist

Interview ULRICH SCHULTE

taz: Herr Becker, nach Tagen wie diesen hat man doch wieder Spaß am Job, oder?

Winfried Becker: Sagen wir es mal so: Eine solche Woche verhindert Langeweile. Definitiv.

Hat sich Ihr neues Wundermittel gegen Glätte, das Feuchtsalz, bewährt?

Na ja, neu ist Feuchtsalz ja nicht. Nur durften wir es lange nicht einsetzen. Seit zwei Jahren ist das anders, nach der Änderung des Straßenreinigungsgesetzes können wir es auf Hauptverkehrsstraßen ausbringen. Und es wirkt wunderbar.

Aber der gute alte Splitt hat’s doch auch getan.

Nee, nee. Wenn wir an dem Tag Splitt eingesetzt hätten, an dem es hier durchschneite, wäre der Verkehr nach ein paar Stunden zum Erliegen gekommen. Vollständig. Splitt ist ja ein abstumpfender Streustoff, und er hat eine Reihe von Nachteilen: Sie müssen die Körnchen wieder einsammeln, beim Streuen und Zusammenfegen entsteht zudem gesundheitsschädlicher Feinstaub.

Woraus besteht Splitt?

Unser Grauwackelsplitt wird in Steinbrüchen gebrochen und dann gemahlen. Die Körnung muss bei drei bis fünf Millimetern liegen. Zu fein staubt, zu grob hat kaum eine abstumpfende Wirkung. Aber das entscheidende Manko ist: Schütten Sie so ein Zeug in starkem Schneefall rein, bringt das gar nichts – die nächste Flockenschicht legt sich einfach drüber.

Gut, dass Sie das Feuchtsalz haben. Was ist da drin?

Zunächst Kochsalz, das Sie sonst aufs Ei streuen, ein Anteil von 70 Prozent ist Natriumchlorid. Entscheidend sind die Plastiktanks, die an unsere Fahrzeuge montiert sind. In denen schwappt Kalziumchloridlauge, also eine Mischung aus einem anderen Salz und viel Wasser. Der Fahrer kann in seinem Cockpit die Streubreite und -menge einstellen. Kurz bevor die Salzkörner auf der Straße landen, besprüht sie eine Düse mit der Lauge.

Warum ist feuchtes Salz besser als trockenes?

Es ist klebriger, haftet besser und wirbelt nicht weg wie Trockensalz. Die Lauge beschleunigt den Tauprozess. Das Feuchtsalz taut Eis noch bei minus 16 Grad, ist also im Berliner Winter eine sichere Sache.

Bleibt noch das Umweltproblem: Was Auto- und Radfahrer freut, schadet den Straßenbäumen.

So pauschal stimmt das nicht. Wir nutzen Feuchtsalz in der dritten Saison, das Pflanzenschutzamt begleitet den Einsatz von Anfang an. Die Fachleute analysieren die Wirkung auf Pflanzen. Das geht so weit, dass sie im Sommer Baumblätter auf Verfärbungen untersuchen, die von Streusalz stammen können. Die Ergebnisse sind in jedem Fall vertretbar.

Das ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung: Dass Salz mehr schädigt als Splitt, ist unbestritten.

Sicher, würde ich nie bestreiten. Auch die Dosierung spielt eine wichtige Rolle. Wir bringen maximal 25 Gramm pro Quadratmeter Straße aus, das ist ein – nicht mal gehäufter – Teelöffel voll. So dünn könnten Sie von Hand gar nicht streuen. Ein Computer steuert das in den Wagen. Geht der Fahrer vom Gaspedal, fährt er also langsamer, wird automatisch die Streumenge verringert. Im Vergleich mit anderen Städten streuen wir ökologisch, die langen meist tiefer in die Salztonne – und hantieren mit größeren Mengen.

Für wie viele Kilometer ist die BSR zuständig?

Die wichtigste Einsatzstufe eins gilt für 3.300 Kilometer, das sind die Hauptverkehrsstraßen wie die Frankfurter Allee, Straßen mit Bus- oder Tramverkehr und die Stadtautobahn. Ab drei Zentimeter Schnee räumen dort unsere Schneepflüge die Straße, hier bringen wir auch Feuchtsalz aus. Mit Neben- und Wohnstraßen betreuen wir aber 7.200 Arbeitskilometer.

Gerade Radfahrer leiden unter Schnee. Warum türmen sich auf Radwegen vereiste Hügel?

Das Gesetz schreibt vor, dass Radwege von uns nicht gestreut werden. Vorgeschrieben ist nur, „maschinell befahrbare Radwege vom Schnee zu räumen“. Diese Aufgabe haben wir an private Winterdienste vergeben. Und in Nebenstraßen bekommt man eine vereiste Schneedecke irgendwann einfach nicht mehr weg. Einen Trost für Radfahrer gibt es allerdings: Sie dürfen auf der Straße fahren, wenn der Radweg nicht nutzbar ist.