aus der mensa: erstsemester! von HARALD KELLER
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Droll schlappt heran, und ehe er sich noch am Tisch niedergelassen hat, setzt schon seine Schimpftirade ein. Blitze des Zornes schießen aus seinen verglasten Äuglein. „Diese verdammten Erstsemester“, entfährt es ihm. „Die haben schon wieder alles weggefressen.“

Erstsemester sind tatsächlich eine Plage. Das Mensaprinzip sieht vor, das aktuelle Speisenangebot zu beachten, nach entsprechender Vorauswahl zügig an der Ausgabe vorbei das Gewünschte aufs Tablett zu heben und die Kasse möglichst ohne viel Aufhebens zu passieren.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Unentschlossene junge Menschen ballen sich an den Vitrinen, berätseln Art, Konsistenz und Inhalte der bereitstehenden Atzung, krähen Fragen wie: „Was ist denn daaas?“, schütteln sich angewidert, weil „daaas“ der amerikanischen Frikadelle, mit der sie zeit ihrer Aufzucht abgespeist wurden, geschmacklich eher fern liegt. Sie ziehen einen Teller heraus, besinnen sich eines anderen, stellen ihn, was aus hygienischen Gründen untersagt ist, heimlich wieder zurück, überlegen hin, überlegen her und halten hunderte von Menschen auf, die hinter ihnen in der Schlange harren und auch gern eine warme Mahlzeit abbekommen hätten.

An der Kasse setzen sich die Geduldsproben fort. Da ist der Studentenausweis doch wieder in die unterste Ablagerungsschicht des Rucksacks gerutscht und muss umständlich ausgegraben werden. Dann fehlt das Portmonee, und ihr Temperament mühsam bezwingende Hintermänner erfahren voller Staunen, wie viele Behältnisse so ein künstlicher Buckel aufweisen kann. Und bis erst der Betrag centgenau abgezählt ist …

Alle Nachsicht hat ein Ende, wenn die Erstsemester, wie an diesem Tag, selten servierte Leckereien wegfräsen. Seit Tagen schon hatte sich Droll auf die Haxe eingestimmt, jeden Mittag davon geschwärmt und sich vorbereitet. Droll trägt immer eine Ledertasche mit sich herum, so unergründlich wie der Mantel von Harpo Marx. Nun langt er mit vorwurfsvollem Gesicht tief hinein und zeigt vor, was er eingepackt hat: ein extrascharfes Messer, eine Auswahl exotischer Gewürze und einen Vorratsbehälter für den Fall, dass etwas übrig geblieben wäre. Vergebens, denn die Haxe war schon aus.

„Was fällt diesem Jungpack bloß ein“, teufelt der bitter enttäuschte Mann wieder los. „Wieso fallen die über die Haxen her? Wenn sie schon ihre Bäuche vom Schamhaar- bis zum Rippenansatz den Blicken preisgeben, sollten sie sich gefälligst an Salat und kalorienarmen Nachtisch halten und das richtige Essen uns Erwachsenen überlassen.“

Die Umsitzenden können dem zwergenhaften Wüterich nur Recht geben. Jedoch ist es guter Brauch der Runde, Salz nicht nur auf die in dieser Hinsicht unterversorgten Wedges, sondern auch in offene Wunden zu streuen. „Da hat du aber großes Pech gehabt“, äußert Strunk scheinheiliges Bedauern. „Als ich unten durchging, wurde gerade noch mal ein großes Blech voller Haxen angeliefert.“

„Wen interessiert das!“, faucht Droll, und Strunk fährt zurück. Wenn es ums Essen geht, ist mit Droll nicht zu spaßen. Nur einem eiligen Themenwechsel ist zu danken, dass die heutige Tafel nicht mit einer Blutsuppe endet.