american pie
: Duell der Angriffsmaschinen

Die Sportfans in den USA sind vom Finale der College-Footballer elektrisiert, das Offensive vom Feinsten verspricht

Wer in den letzten Tagen und Wochen in den Vereinigten Staaten nicht über dieses Spiel redete, hatte nichts zu melden, schließlich ist es „das Spiel des Jahrhunderts“, wie das ESPN Magazine verkündet. Die Verlautbarung mag marktschreierisch sein, doch der Grundtenor ist stimmig. Denn der Rummel, der um das heute Nacht stattfindende Finale im College-Football zwischen der University of Southern California (USC) und der University of Texas (UT) gemacht wird, hat Ausmaße angenommen, die man allenfalls vom Super-Bowl, dem Endspiel in der Football-Profiliga NFL, kennt.

„Wie oft in der Geschichte des College-Footballs haben zwei Mannschaften im Schnitt fünfzig Punkte pro Partie erzielt und sind dann am Ende des Jahres gegeneinander angetreten? Ich weiß nicht, ob das überhaupt schon einmal passiert ist“, erklärt UT-Trainer Mack Brown das Brimborium. Doch es ist nicht allein das Offensivfeuerwerk, das die Massen derart begeistert. Selten zuvor haben zwei Teams eine reguläre Saison so souverän absolviert und die Konkurrenz so gnadenlos zur Statistenrolle verdammt; der höchste Sieg von USC war ein 70:13, Texas gewann sein letztes Spiel sogar mit 70:3.

Ein klarer Favorit ist im direkten Aufeinandertreffen der zwei Schwergewichte nicht auszumachen. Dennoch blicken die Medien vor allem auf USC. „Sie sind zweifacher Titelverteidiger und verdienen deshalb die Aufmerksamkeit“, kommentiert Vince Young, Spielmacher von Texas, „aber wir verdienen die Bowl auch, eine Bilanz von 12:0-Siegen bekommt man nicht einfach geschenkt.“ Das stimmt, doch im Vergleich zu der fast drei Jahre andauernden Siegesserie von USC und den insgesamt elf nationalen Titeln, die die Uni schon gewonnen hat, nimmt sich die Erfolgsserie von Youngs Truppe eher bescheiden aus. Aber selbst wenn Texas eine ähnlich beeindruckende Geschichte vorweisen könnte, würde das wohl nichts an der unverhältnismäßigen Gewichtung der Berichterstattung ändern. Denn während das texanische Team aus dem beschaulichen, eher langweiligen Austin kommt, residiert USC im glamourösen Los Angeles – und regiert dort die Sportszene. Weil „die Stadt der Engel“ noch immer keine Profi-Footballmannschaft hat und die Lakers in der Basketball-Liga NBA seit zwei Jahren nur noch zum Mittelmaß zählen, sind die Trojans, so der Spitzname der USC-Burschen, das derzeit angesagteste Team in der Westküstenmetropole. Bei den Heimspielen, zu denen in dieser Saison durchschnittlich 90.812 Zuschauer kamen, reichen sich Edelfans wie der Filmregisseur George Lucas („Star Wars“) oder der Rapper Snoop Dog die Hand. Die bekannten Größen werden bestimmt auch beim großen Finale zugegen sein, immerhin findet die Partie nur 15 Meilen außerhalb des Stadtzentrums von L. A. im altehrwürdigen Rose-Bowl-Stadium von Pasadena, statt.

Stars gibt es bei USC-Spielen jedoch nicht allein in der Prominentenloge, sondern auch auf dem Feld zu sehen. In den Reihen der Trojans befinden sich einige Ausnahmekönner, die schon jetzt mehr im Rampenlicht stehen als viele renommierte NFL-Profis. Allen voran Reggie Bush. Der 20-jährige Ballträger scheint ausnahmslos aus schnell zuckenden Muskelfasern zu bestehen, seine explosiven Sturmläufe werden wegen der plötzlichen und schwindelerregenden Richtungswechsel oft mit einer Achterbahnfahrt verglichen. Eine Zusammenfassung der zehn Höhepunkte dieser Footballsaison könnte ohne Schwierigkeiten allein von Bush bestritten werden.

Als Mitte Dezember die Heisman-Trophäe, die höchste individuelle Auszeichnung im College-Football, vergeben wurde, fiel die Wahl dann fast einstimmig aus. Auf dem Papier hat der Gepriesene noch ein Collegejahr vor sich, es gilt jedoch als offenes Geheimnis, dass er bereits zur nächsten Spielzeit ins Profilager wechselt. Mannschaftskollege Matt Leinart wird denselben Schritt tun. Der Quarterback ist Bushs Vorgänger als Spieler des Jahres und stellte seine Spielmacherqualitäten auch in dieser Saison eindrucksvoll unter Beweis.

„USC hat angeblich den besten Angriff aller Zeiten, keiner glaubt, dass wir eine Chance haben, sie unter fünfzig Punkte zu halten“, fasst Michael Huff, Verteidigungsspezialist von Texas, zusammen. „Ich freue mich deshalb sehr darauf, den Leuten das Gegenteil zu beweisen.“

TOBIAS POX