Alles zu spät

Lauter unglückliche Zufälle? Die Doku „Tod in der Zelle“ (22.45 Uhr, ARD) hinterfragt, wie Asylbewerber Oury Jalloh im Gefängnis verbrennen konnte

Von BETTINA GAUS

Natürlich gibt es Zufälle, und es gibt auch eine Verkettung unglücklicher Umstände. Am 7. Januar 2005 verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Wenn bei seinem Tod alles mit einigermaßen rechten Dingen zugegangen ist, dann muss Folgendes passiert sein: Bei der Taschenkontrolle des betrunkenen Westafrikaners wurde ein Feuerzeug übersehen. Obwohl an Händen und Füßen gefesselt und auf eine Matratze geschnallt, gelang es dem Jalloh später, dieses Feuerzeug aus der Tasche zu ziehen und damit die Matratze anzuzünden. Diese war allerdings feuerfest ummantelt, muss also beschädigt gewesen sein. Und dann wurde das Feuer auch noch so spät bemerkt, dass die Zelle nicht mehr betreten werden konnte.

Noch ein seltsamer Tod

Wie gesagt: Möglich ist vieles. Aber man braucht kein Verschwörungstheoretiker zu sein, um diesen Ablauf der Ereignisse für unwahrscheinlich zu halten. Zumal weitere Merkwürdigkeiten hinzukommen: Mitschnitte von Telefonaten mit rassistischen Untertönen, ein weiterer seltsamer Todesfall in demselben polizeilichen Zuständigkeitsbereich vor einigen Jahren und die späte – zu späte – Reaktion der wachhabenden Polizisten auf den Feueralarm. Die Versuchung für Dokumentarfilmer dürfte groß sein, die Geschichte von Oury Jalloh reißerisch zu erzählen. Mit einer schnellen Abfolge von Bildern, gleichsam dem Drehbuch eines Thrillers folgend. Marcel Kolvenbach und Pagonis Pagonaiks haben dieser Versuchung widerstanden.

Nüchtern, sachlich und mit einer ganz ruhigen Kameraführung tragen sie zusammen, was über das Leben und den Tod des Westafrikaners in Erfahrung zu bringen war. Entsetzen und Empörung überlassen sie den Zuschauern – ihre eigenen Gefühle behalten sie für sich. Diese Disziplin ist wohltuend und bei Beiträgen dieses Genres keineswegs selbstverständlich.

Dem Publikum wird zugetraut, sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Oury Jalloh erscheint in dem Film nicht als Engel in Menschengestalt. Etwa drei Promille hatte er im Blut, als er wegen angeblicher Belästigung einiger Frauen festgenommen wurde. Das Geburtsdatum in seinem Ausweis war gefälscht – offenbar hatte der Asylbewerber sich bessere Chancen für ein Bleiberecht in Deutschland ausgerechnet, wenn er sich jünger machte, als er war. Hinweise darauf, dass Oury Jalloh individueller politischer Verfolgung ausgesetzt war, gibt es in der Dokumentation nicht.

Die Redlichkeit bei der Porträtierung des Toten ist eine größere Respektbezeugung ihm gegenüber als Schönfärberei es gewesen wäre. Interviews mit seinen Freunden in Deutschland, die meisten ebenfalls Asylbewerber, und mit seiner Familie in Westafrika lassen einen Menschen aus Fleisch und Blut kenntlich werden, der unter äußerst merkwürdigen Umständen gestorben ist. Je mehr man über diese Umstände erfährt, desto besser kann man die Fassungslosigkeit derer nachvollziehen, die Oury Jalloh nahe gestanden haben: Wie kann so etwas in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik geschehen? Und wieso reagieren Behörden wie Öffentlichkeit darauf keineswegs alarmiert, sondern überwiegend gleichgültig?

Die Zweifel der Anwälte

Vielleicht rüttelt ja der Film einige derjenigen wach, die sich bislang nicht für das Schicksal von Oury Jalloh interessiert haben – oder die davon nicht einmal gehört hatten. Das wäre erfreulich, käme aber dennoch zu spät. Nicht nur für den Toten, sondern auch für die Aufklärung des Falls. Obwohl die juristische Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist, glauben inzwischen nicht einmal mehr die Anwälte der Familie, dass sich nach so langer Zeit noch alle Fragen beantworten lassen. Marcel Kolvenbach und Pagonis Pagonakis kommt das Verdienst zu, sie wenigstens laut gestellt zu haben.