Geld scheffeln ist nicht alles

ÖKONOMIE Unternehmen aus der Region haben mit der Umsetzung der Gemeinwohlökonomie begonnen. Nun legen sie die ersten Nachhaltigkeitsbilanzen vor

„Ich habe erst mal das Gehalt meiner Sekretärin erhöht“

STEUERBERATER ANDREJ PHILIPP

VON SEBASTIAN PUSCHNER

Berlin und Brandenburg auf dem Weg zu einem alternativen Wirtschaftssystem: Wie in elf anderen europäischen Städten haben gestern Unternehmen aus der Region ihre Bilanzen nach dem Prinzip der Gemeinwohlökonomie vorgestellt. Der Tiefkühlhändler Ökofrost, die Bäckerei Märkisches Landbrot, die Druckerei Oktoberdruck und andere wollen so Geld zum Mittel und Menschenwürde, Solidarität, Kooperation und ökologische Verantwortung zum Zweck allen Wirtschaftens machen.

Konkrete Folgen hatte das bereits für die Sekretärin des Potsdamer Steuerberaters Andrej Philipp: „Ich habe ihr Gehalt erhöht, um so die Einkommensspreizung in unserer Kanzlei zu verringern“, sagt Philipp. Denn die gerechte Einkommensverteilung ist einer von 17 Gemeinwohlindikatoren, auf die hin Philipp und die anderen ihre Unternehmenspolitik untersuchen ließen. Einer ausführlichen schriftlichen Selbsteinschätzung folgte dabei entweder die gegenseitige Bewertung der Unternehmen untereinander oder die Untersuchung durch einen externen Auditor. Letzteren Weg gingen Ökofrost und Märkisches Landbrot. Der Lieferbäcker mit Sitz in Neukölln erreichte so 652 von 1.000 Punkten. Sowohl förderlich als auch abträglich war dabei die Struktur des Unternehmens: Es gehört einem alleinigen Eigentümer. Weil deshalb keine Gewinne an Externe abfließen, erhielt Märkisches Landbrot die in dieser Kategorie maximal möglichen 60 Punkte. Bei innerbetrieblicher Demokratie und Transparenz dagegen gab es nur 9 von 90 Punkten, etwa weil Protokolle aus der Führungsebene nur deren Mitgliedern zugänglich sind. „In diesem Bereich haben wir offenbar ein Problem“, sagt Geschäftsführer Christoph Deinert.

Mitarbeiter bilden nur eine Gruppe, mit der die Gemeinwohlökonomie die angestrebten Werte eines Unternehmens in Einklang bringen will. In der Bilanzierung geht es um alle, mit denen die Firma in Berührung kommt: Lieferanten, Kunden, Geldgeber und das gesellschaftliche Umfeld. Der Beitrag zum Gemeinwesen etwa wird mit bis zu 40 Punkten belohnt. Nur sechs davon hat Ökofrost erreicht – weil der 15-Mitarbeiter-Betrieb sich bisher nur punktuell außerhalb des eigenen Betriebs engagiert, etwa bei der Überreichung von Bio-Brotboxen an Erstklässler. Nun sollen die Mitarbeiter gemeinsam diskutieren, ob es für solch ein kleines Unternehmen überhaupt Sinn macht, Energie auf andere Bereiche als den eigenen, ohnehin gemeinwohlorientierten Geschäftszweck zu verwenden.

Stark ist Ökofrost beim ethischen Beschaffungsmanagement: Das Unternehmen kauft ausschließlich Bio-zertifizierte Lebensmittel und nachhaltig gefangenen Fisch ein, um Einzel- und Großhandel damit zu beliefern; es bezieht Ökostrom sowie nachhaltig hergestellte Büromaterialien und hat diverse Stromsparmaßnahmen eingeführt. Ergebnis: 66 von 90 möglichen Punkten. Auf Lagerung und Logistik hat Ökofrost nur begrenzten Einfluss, weil es für diese Bereiche aus Effizienzgründen einen Dienstleister beschäftigt; so lehnte der Betreiber der Kühlhäuser das Angebot von Ökofrost ab, Photovoltaikanlagen auf deren Dächer zu bauen.

Insgesamt erreicht das Unternehmen 520 Punkte. Doch die Punktezahl sei nicht das Wichtigste, sagt Geschäftsführer Florian Gerull. „Wir haben mit der Gemeinwohlökonomie jetzt ein seriöses Modell, mit dem wir messen können, was wir uns vorgenommen haben.“

Wirtschaft + Umwelt SEITE 9