Worum es wirklich geht

GESCHICHTE Die neue Dauerausstellung im Deutsch-Russischen Museum erzählt eindrücklich von dem, was anhand von Zahlen und Fakten oft kaum vorstellbar ist: den Schrecken des Krieges

Die eindrücklichsten der zehn neuen Räume sind dabei jene, die individuelle Lebenswege zeigen

Mitten im ruhigen Wohnviertel in Karlshorst: Mehrere Polizeiwagen stehen vorm Deutsch-Russischen Museum, am Eingang warten Trauben von Menschen. Zur feierlichen Wiedereröffnung des Museums, das nach einem Jahr Sanierung ab heute wieder zugänglich ist, wird Prominenz erwartet. Im Saal der Kapitulation, in dem deutsche Generäle in der Nacht zum 9. Mai 1945 die deutsche Niederlage besiegelten, wird Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) ebenso sprechen wie der russische Botschafter Wladimir M. Grinin.

Es gibt Musik vom tollen ukrainischen Trio Scho aus Prenzlauer Berg, hinterher die obligatorischen Häppchen, manche davon sogar mit Lachs und Kaviar, außerdem Weiß- und Perlwein in Strömen. Das Interessanteste an diesem sonnigen Mittwochmittag aber ist nicht das Brimborium drumherum, sondern tatsächlich das, worum es geht: Die neue Dauerausstellung „Deutschland und die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg 1941–1945“ mit mehr als 1.000 Exponaten auf 1.000 Quadratmetern Fläche selbst. Denn anders als jene, die hier von 1995 bis 2011 zu sehen war, sind die neuen Räume nicht nur sehr viel moderner, weil reduzierter gestaltet – sie sind auch dual erzählt, nämlich aus der Sicht sowohl der deutschen wie der sowjetischen Akteure. Beispielsweise werden nicht nur Fotos von russischen und deutschen Kriegskorrespondenten gezeigt, sondern auch von sogenannten Knipsern, deutschen Wehrmachtssoldaten, die fürs Familienalbum oft Alltägliches mitschnitten.

Die eindrücklichsten der zehn neuen Räume zu zehn Kapiteln Krieg sind dabei jene, die individuelle Lebenswege schlaglichtartig präsentieren. Sie erinnern dabei auch an Opfergruppen, die in der deutschen Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten sind: So ist zum Beispiel eher weniger bekannt, dass 60 Prozent der russischen Kriegsgefangenen starben. Von den 27 Millionen sowjetischen Toten waren 14 Millionen Zivilisten – darunter auch Partisanen, Patienten in Heil- und Pflegeanstalten und Roma.

So erzählt einer der 15 präsentierten Filme vom Schicksal Villem-Villep Indus’, eines in Estland lebenden Rom, der 1941 unter dem Vorwand des Verrats verhaftet wurde. Der Film zeigt ein Gnadengesuch seiner Frau, die an die deutschen Besatzer schrieb, ihr Mann sei stets unpolitisch gewesen und sie wisse nicht, wie sie die sechs Kinder durchbringen solle. Er zeigt außerdem ein Dokument, das Indus’ Verlegung ins Arbeitserziehungslager anordnete. Wahrscheinlich wird sich nie klären lassen, warum er 1943 doch hingerichtet wurde.

Eines der eindrücklichsten Fotos, die die neue Dauerausstellung zeigt, ist ein ganz einfaches. Es zeigt eine Frau, die durch einen Fluss watet. In einem Glaskasten daneben ist eine Karteikarte mit der Aufschrift „Minenprobe“ zu sehen, die am Fluss aufgestellt wurde. In wenigen Worten wird erklärt: Die abgebildete Zivilistin musste durch den Fluss, weil die deutschen Soldaten rüberwollten, aber darin eine Mine vermuteten. Ein Ausstellungsstück, das verdichtet, was man sich kaum vorstellen kann, wenn man nur Zahlen und Daten liest. Wer sich heute nur noch wenig unter dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion vorstellen kann, der sollte es sehen.

SUSANNE MESSMER

museum-karlshorst.de