33 MINUTEN SPORT IM MUSEUM
: Sitzen bleiben!

Kultur sportiv

ANDREAS RÜTTENAUER

Am Beuys vorbei und dann links die Treppe rauf“, sagt die Frau an der Kasse des Hamburger Bahnhofs in Berlin. Es geht durch die Basaltsteine von Joseph Beuys’ „Ende des 20. Jahrhunderts“ im Erdgeschoss des Museums für Gegenwart, dann kann man schon hören, wo es langgeht. Es ist die Musik eines voll besetzten Stadions, die einem da entgegenschallt. Fangeräusche. Lauter werden sie, wenn man die Treppe hochsteigt zur Installation „The Saints“ des amerikanischen Videokünstlers Paul Pfeiffer (noch bis 28. März). Wer den Geräuschen folgt, der steht bald in einem riesigen Raum ohne jedes Mobiliar. Das ist Fußball, wissen schnell alle, die regelmäßig gut gefüllte Stadien besuchen. Raunen, Anfeuern, Klatschen. So hört sich Fußball an. Wo läuft das Spiel, das zur Geräuschkulisse passt? Wie sieht das Tor aus, das zum Jubel gehört? Wer spielt da eigentlich?

Ein Ordner macht ein Zeichen. „Hier“, sagt er und zeigt auf eine graue Wand. Dahinter läuft das Spiel auf einer Leinwand. West Germany spielt gegen England. Wer Fan ist, kennt die Bilder – zumindest einige davon. 1966. Wembley. Das WM-Finale. Die gar nicht alte Königin auf der Tribüne. Der junge Beckenbauer mit der Nummer 4. Uns Uwe. Und Bobby Charlton, der mit dem breiten Scheitel von den anderen. Vier Tore. Dann das Wembley-Tor. Dann noch ein Treffer. Die Siegerehrung. 33 Minuten Originalbilder von seinerzeit. Für Fußballfans ein Leckerbissen, eigentlich ein Muss. Fußball, wie er früher war. Eine Lehrstunde für alle Freunde des Sports, denen nicht die Gnade der frühen Geburt zuteil geworden ist, die nur vom Hörensagen wissen, dass Wembley legendär war.

Zwei Bänke sind vor der Leinwand aufgestellt. Acht Sitzplätze. Nicht gerade viel. Aber es reicht. Sie drängen nicht gerade zur modernen Kunst, die Fußballfans. Und die Fans moderner Kunst, sie scheinen sich nicht allzu sehr begeistern zu können für das, was da gezeigt wird. Sagen nicht viele immer wieder, dass sich das geändert hat, dass Sport, und Fußball ganz besonders, längst kulturfähig geworden sind? Mehr als drei Minuten bleibt kaum ein Museumsbesucher vor der Leinwand stehen. Wo schauen die überhaupt hin? Die schauen ja gar nicht auf das Spiel. Die ärgern sich ja gar nicht, dass vom Wembley-Tor, von dem doch längst bekannt ist, dass es eigentlich keins war, keine Wiederholung gezeigt wird. Die freuen sich gar nicht über den Schwenk auf die Tribünen und das niedliche Transparent mit der Aufschrift „Bottrop grüßt England“.

Die Leinwand ist geteilt. Die Kunstbesucher schauen auf den Teil, der nicht das schwarz-weiße Fußballspiel zeigt. Sie schauen auf die bunten Bilder, die Paul Pfeiffer in einem Kino in Manila hat aufnehmen lassen. Rund 1.000 Philippiner raunen, feuern an und klatschen, machen das Kino zum Stadion und tun, was man eben tut in einer Arena. Sie wissen das, weil man eben weiß, wie sich Fans verhalten. Das Finale von Wembley war in dieser Hinsicht stilbildend. Es war eines der ersten Fußballspiele, die live und beinahe auf der ganzen Welt übertragen worden sind. Wie man im Stadion Emotionen rausbrüllt, weiß man seitdem beinahe überall. Seit 1966 funktioniert das globale Emotionstheater Fußball auf der ganzen Welt gleich.

Auch auf den Philippinen? Wird da überhaupt Fußball gespielt? Doch, doch. Die Männernationalmannschaft steht auf Platz 167 der Fifa-Weltrangliste. Einen nationalen Verband gibt es seit 1907. Immerhin: Ein Philippiner hat sogar mal beim FC Barcelona gespielt. Paulino Alcantara schoss zwischen 1912 und 1927 bemerkenswerte 357 Tore für die Katalanen. Der Fußballfan hätte dem Kunstfan so viel zu erzählen. Der müsste nur länger als drei Minuten vor der Leinwand sitzen bleiben.