Jeder Quadratmeter unter Zwang

„Die wussten doch, was hier läuft“, ereifert sich ein Rentner. „Wieso haben die denn nicht rechtzeitig eingegriffen?“

AUS MÖNCHENGLADBACH GESA SCHÖLGENS

Schön ist er nicht, der Römerbrunnen. Nicht mal im Dunkeln. Sieben massige Betonklötze ragen sieben Stockwerke hoch in den Himmel, flankiert von leer stehenden Geschäften, verlotterten Kiosken und einer Tankstelle. Autos, Busse und LKW rasen vorbei. Eine Rentnerin schleppt ihre Aldi-Tüte zu einer der Haustüren. Auf dem verwaisten Vorplatz hängt eine Gruppe von Zwölfjährigen herum. Rauchend palavern die Jungen in einem bunten Sprachgewirr. Neu ist nur das Schild am Büro vor der Hochhaussiedlung in Mönchengladbach-Rheydt. Es trägt die Aufschrift „Zwangsverwaltung“.

Das überrascht keinen der Bewohner hier. „Zwangsverwalter hatten wir schon einige“, sagt ein Mieter. Auch die Eigentümer wechselten mehrfach im Laufe der Jahre. „So zwanzig werden wir wohl schon gehabt haben“, glaubt der Rentner, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er lebt seit über 30 Jahren im Römerbrunnen. „Schön und neu war das damals, da haben hier noch Ärzte und Rechtsanwälte gewohnt.“ Seine Kinder sind hier groß geworden. „Wir haben viel gefeiert, es war eine gute Zeit.“ Ausziehen möchte er nicht. „Allein die gute Luft hier, das ist doch viel besser als in der Innenstadt.“

Gute Luft – das dürfte ein geringer Ausgleich sein für die Müllhaufen, die überall auf dem Gelände herumliegen. Für die ständig aufgebrochenen Wohnungstüren, die fehlenden Feuerlöscher, Klingelschilder und Briefkästen, für die nach wie vor defekten Durchlauferhitzer, herausgeschlagenen Fensterscheiben und zerstörten Sprechanlagen. Für kaputte Bodenplatten und offene Stromkabel an den Lichtschaltern. Für Urin und Fäkalien in den Treppenhäusern und den Fahrstühlen, die jahrelang nicht vom TÜV geprüft wurden, und von denen einer wegen technischer Mängel gleich ganz abgestellt wurde.

Nun soll es die neue Zwangsverwaltung richten. Seit Anfang Dezember kümmert sich der Düsseldorfer Anwalt Andreas Pantlen gemeinsam mit der von ihm beauftragten Firma Verwey um die Geschicke in der Wohnanlage. Pantlen wurde auf Betreiben der Gläubiger vom Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt eingesetzt. Er muss das auffangen, was die Ex-Eigentümerin, die Firma Awog, und die dazugehörige Ex-Hausverwaltung Tyscon verbockt haben.

An diesem Dezembertag haben sich Pantlen und sein Team mit den Bewohnern zur ersten Mieterversammlung im Bürgerzentrum am Römerbrunnen zusammen gesetzt. Der Saal ist schnell gerammelt voll, einige Mieter bekommen nur noch einen Stehplatz. Die Zwangsverwalter nehmen im hinteren Teil des Saales an einem langen Tisch Platz. Es dauert einige Minuten, bis sich der hochgewachsene Pantlen Gehör verschaffen kann. „Es tut mir Leid, dass ich kein Mikrofon habe“, setzt er an. In den nachfolgenden Minuten ist der Anwalt bemüht, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. „Ich denke, die Situation kann verbessert werden und wird es auch schon, allein weil jetzt jemand vor Ort ansprechbar ist.“

Das ist auch gut so, denn die Beschwerden der Bewohner nehmen an diesem Abend kein Ende. Nach einer kurzen finanziellen Bestandsaufnahme Pantlens tragen sie ihre Sorgen und Nöte vor. „In die Sandkästen auf den Kinderspielplätzen scheißen Hunde, und meine Kinder liegen dann mit der Nase in dem Dreck“, klagt eine Mieterin. Ein Hundehalter habe auf ihre Beschwerde hin nur gesagt: „Das ist mir egal.“ Ein Rollstuhlfahrer beschwert sich über Unrat, der in seinen Garten geworfen wurde. „Und was ist mit unseren Mieten passiert? Wo ist das Geld hingegangen?“ rufen die Bewohner immer wieder. „Was ist mit meiner Kaution? Ich habe vor fünf Monaten meine Wohnung übergeben und immer noch kein Geld gesehen“, dringt eine verzweifelte Stimme aus der letzten Reihe nach vorne. Mehrmals muss Pantlen um Ruhe bitten, um die Klagen verstehen zu können.

Eines ist sicher: Um die Instandhaltung der Gebäude haben sich weder Awog noch Tyscon geschert. Auch Strom und Wasser wurden nicht bezahlt. Zuletzt war Tyscon im August in die Schlagzeilen geraten, weil die Firma Rechnungen des Versorgers NVV nicht beglichen hatte. 130.000 Euro waren nicht eingegangen, woraufhin die NVV Strom und Wasser abstellen wollte. Außerdem hatte die Firma Schulden bei der Hypothekenbank Berlin Hyp AG, der Wohnungsförderungsanstalt (WFA) und bei der Stadt, die Rede ist von einem sechsstelligen Euro-Betrag, unter anderem für Steuern und Gebühren. Von zivilrechtlichen Schritten ist bisher nicht die Rede. Fast scheint es, als habe die Stadt resigniert. Das haben die Mieter wohl auch. Das Vertrauen in die Zwangsverwalter ist gering, das wird an diesem Abend klar. Der Zustand des Römerbrunnens ist schließlich schon seit mehr als fünfzehn Jahren miserabel. „Die Anwälte kommen hier an, geschniegelt und gebügelt, dann haben wir ein paar Monate Ruhe. Dann sind die wieder weg, und alles geht von vorne los“, knurrt eine dicke Frau mit Bomberjacke. Andere schöpfen Hoffnung: „Endlich haben wir mal einen Ansprechpartner, der uns wie Menschen behandelt“, flüstert eine junge Frau.

Viele Bewohner sind trotzdem wütend. Auf die Stadt, von der sie sich im Stich gelassen fühlen. „Die wussten doch, was hier läuft“, ereifert sich ein Rentner hinterher. „Wieso haben die nicht rechtzeitig eingegriffen?“ Die Antwort aus dem Wohnungsamt: Es fehle die Befugnis. „Wir können nur da eingreifen, wo bauordnungsrechtliche Mängel vorliegen. Und das haben wir getan“, sagt Heinz-Josef Claßen, Leiter des Wohnungsamtes, bei der Versammlung. Aus der Bevölkerung hieße es zwar immer wieder: Reißt das Ding ab. „Aber das können wir nicht, weil wir nicht der Eigentümer sind“, so Claßen.

Bis Ende Januar wollen sich die Zwangsverwalter nun einen Überblick über Mängel und Probleme verschaffen, die Mietverträge aktualisieren und die Nebenkosten neu berechnen, was lange versäumt wurde. „Ich zahle für meine 51-Quadratmeter-Single-Wohnung genauso viel wie die Familie über mir“, klagt eine ältere Frau. Pantlen kann nicht viel mehr tun, als ihr zu versichern, er werde alles prüfen. Die Lage am Römerbrunnen übersteige „in einigen Dingen“ das, was er bisher erlebt hat. Dennoch macht er den Leuten Hoffnung: „Es gab eine ähnliche Zwangsverwaltung in Düsseldorf, und da ist alles gut ausgegangen.“

Die Fakten geben da keinen Anlass zu großen Hoffnungen. Derzeit sind nur noch 360 der 756 Wohneinheiten belegt. Bei immerhin 150 Wohnungen kommt die Stadt für Miete und Nebenkosten auf. Seit Tyscon weg sei, fehlten alle Unterlagen, so Pantlen. In der Vergangenheit hätten sich zudem immer wieder Eigentümer beschwert, dass Mieten ausblieben. Er appellierte an die Bewohner, pünktlich und regelmäßig zu zahlen. „Kommen Sie in mein Büro, wenn Sie Fragen oder Probleme haben!“ Eine Mieterin will wissen, ob man Wachpersonal bekomme? Plötzlich antwortet Pantlens Mitstreiter Hagen Bens, der bisher geschwiegen hat: „Sie müssen auch selbst mithelfen, damit sich die Dinge verändern! Sie dürfen nicht einfach nur wegsehen, wenn Sie beobachten, dass Leute Sachen kaputt machen.“ Auf seiner Stirn bilden sich Schweißtropfen. Für Bens steht fest, dass die Bewohner viel verhindern könnten, wenn sie nur wollten.

Aber die Mieter haben auf viele wichtige Dinge keinen Einfluss. Etwa auf die Wahl eines neuen Eigentümers. Um den müssten sich die Gläubiger bemühen. Die Instandhaltung ist eine Frage der Finanzierung und liegt in den Händen der Zwangsverwalter. Allein für die Reparatur des Fahrstuhls rechnet Pantlen mit einer fünfstelligen Summe. Die meisten der 60 Feuerlöscher fehlen und müssen ersetzt werden. Die Mieten gehen jetzt erst mal auf ein Sondertreuhandkonto. Es stellt sich auch die Frage, was mit den Nebenkosten ist, die wurden seit Jahren nicht auf den aktuellen Stand gebracht. „Es ist gut möglich, dass sich die Mieter auf höhere Nebenkosten einstellen müssen“, sagt Pantlen beim Hinausgehen.

Langsam leert sich der Saal des Bürgerzentrums, die Mieter kehren in ihre Wohnblocks zurück. Viele reden aufgeregt weiter. Der nächtliche Verkehr ist fast verstummt, hinter der Tankstelle rauchen drei türkische Jungs eine letzte Zigarette. Dann verschwinden auch sie in einem der Hauseingänge.