Das Spiel mit den Wünschen

DER WIDERSPRUCH DES EINZELNEN Das Personal der Dramen und Komödien von Rebekka Kricheldorf ist fantastisch und redet in Blankversen. Ein Porträt der jungen Dramatikerin

VON SIMONE KAEMPF

Der Zwerg ist erst mal eine Überraschung. Eine Figur, die man in der Gegenwartsdramatik nicht erwartet. Aber im Grunde ist der Gnom, der da aus dem Erdloch kriecht, so führt ihn Rebekka Kricheldorf in ihrem Theaterstück „Rosa und Blanca“ tatsächlich ein, von zutiefst menschlicher Gestalt. Ein Ärger suchender Maulheld, der auf alles und jeden schimpft und auch vorm Himmel nicht haltmacht: „Fick dich Sonne / Sonne Saboteur“ und „Miese Kugel“.

Der Beginn nimmt gefangen, und es treten noch weitere Kunstfiguren auf: Lamm, Hase, Reh, Bär und zwei Mädchen, die es aus der Stadt in den Wald zieht, wo vom erhofften romantischen Idyll allerdings nicht viel zu finden ist. Schiebt man die fatalistische Sicht beiseite, die hier komödiantisch an den Tag gelegt wird, zeigt sich das wiederkehrende, ernste Kricheldorf-Thema: das Kräfteverhältnis zwischen einem Einzelnen und der Welt, die ihn umgibt.

Die 35-Jährige Dramatikerin erfindet Fantasiewelten, in denen es viel realistischer zugeht, als es auf der ersten Blick scheint. In „Kriegerfleisch“ etwa forscht ein Professor im Science-Fiction-Stil nach dem ewigen Leben, versucht, von einem Vampir gebissen zu werden. Die eingestreuten Katastrophenmeldungen – Mord, Unfälle – lassen das Stück dann allerdings in offene Skepsis gegenüber der Unsterblichkeit münden. Und „Rosa und Blanca“ ist unter dem Deckmantel der Märchenmotive eine Gesellschaftssatire in Zeiten der Globalisierung, in der die Natur nicht so unberührt, unschuldig und rettungswillig ist, wie der Mensch es gern hätte.

Typen der Menschheit

Das Wagnis, an überlieferte Figuren wie Schneeweißchen und Rosenrot oder auch Dracula, Don Juan, Salome anzuknüpfen, meistert Kricheldorf mit Bravour, weil es ihr aus distanzierter Perspektive vor allem um deren Kern geht, um die sich in der Menschheitsgeschichte wiederholenden Verhaltensweisen. „Es gibt Gründe, warum sich bestimmte Figurentypen so lange am Leben halten – als Repräsentanten von allgemeinen menschlichen Urängsten und Sehnsüchten“, sagt Kricheldorf.

Diese Wünsche äußern sich in ihren Stücken mitunter simpel: unsterblich werden, sich verlieben, Arbeit finden – alles Motive der Suche nach einem Platz in der Welt. Diese zeitlosen exemplarischen Muster konfrontiert Kricheldorf mit gegenwartsbezogenen Themen: Überforderung durch Globalisierung, Theoriesättigung, die in den Stillstand führt, die Unmöglichkeit des Aufstands.

In den Stücken, in denen die Fantasiewelt stärker zurückgenommen ist, entstehen Figuren wie Jan Mao in der „Ballade vom Nadelbaumkiller“, WG-Bewohner, Sohn reicher Eltern und eine Art moderner Don Juan, der zwar die Frauen herumkriegt, aber feststellen muss, dass ihre Ehrbegriffe verschoben sind. Die Welt hat sich weitergedreht, das ist die Botschaft, alte Rollenvorbilder funktionieren nicht mehr, und Jan Maos regressive Versuche, in den einstigen Männerdomänen Bundeswehr, Burschenschaften, Kirche unterzukommen, sind erfolglos.

Seit ihrem Abschluss des Studiums „Szenisches Schreiben“ an der Universität der Künste Berlin hat Kricheldorf ein Dutzend Stücke geschrieben und auch mehrere elisabethanische Dramen aus dem Englischen übersetzt. „Das Übersetzen steht für mich nicht so im Vordergrund und beschränkt sich auf das Nachdichten von elisabethanischen Rachetragödien. Ich bin schon ein Rhythmus-Junkie, der sich gern an korrekten Versfüßen abarbeitet“, analysiert sie selbst. Sie schenkt ihren Figuren freie Blankverse, wo andere Dramatiker zur Zuspitzung in Mundart fallen würden, aber immer gespickt mit Alltagsjargon. So wirkt ihr Versmaß wie vom Munde abgelauscht. Diese Kunstsprache fiel schon bei ihrem Debüt, „Prinzessin Nicoletta“, 2002 auf, auch weil zu dieser Zeit mit kargem Aneinandervorbeireden eher das Gegenteil in Mode war.

Fortschritt und Stillstand

Kricheldorfs Stücke wurden mit Preisen ausgezeichnet, und als im Oktober 2009 auf dem Symposium „Schleudergang neue Dramatik“ über Zukunft und Arbeitsbedingungen zeitgenössischen Schreibens fürs Theater debattiert wurde, fiel ihr Name oft als Beweis dafür, dass das Theater mit zeitgenössischen Autoren feste und regelmäßige Bindungen eingeht.

Auf den Spielplänen der deutschen Theater findet sich mit „Villa Dolorosa“ am Theaterhaus Jena derzeit dennoch nur eine Inszenierung von ihr. Das Wissen, wie Neues und Altes, Fortschritt und Stillstand auseinander hervorwachsen, spricht aus ihrem neuen Stück, „Villa Dolorosa“, das Regisseur Markus Heinzelmann gelungen zwischen Ernsthaftigkeit, Formalismus und Boulevardwitz anlegt. Dreimal feiert das Stück Irinas Geburtstag. Dreimal reden die Schwestern über die Vergangenheit, statt realistische Pläne für die Zukunft zu schmieden, und dann klingelt der bereits abgehakte Verehrer, wird Partymusik aus der Jugendzeit aufgelegt, entpuppt sich der nächste Berufswechsel als Schnapsidee. Dem Überschuss an Lebensmöglichkeiten, den sie rhetorisch wortgewandt vermessen, steht ihre Erlebnisarmut gegenüber.

„Villa Dolorosa“ ist eine Nachdichtung von Tschechows „Drei Schwestern“. Bemerkenswert ist, dass es in den vergangenen Jahren vor allem Regisseure waren, die das Stück über ihre Inszenierungen für die Gegenwart interessant machten. Jetzt hat dieses Terrain eine Autorin zurückerobert, die große Denkfelder nicht scheut und mit dem Witz der Verzweifelten darauf antwortet, dass ein Einzelner den gesellschaftlichen Gewissheiten immer nur hinterherhinken kann.

■ „Villa Dolorosa“, Theaterhaus Jena, 27. Januar, 12., 13. Februar