Die Gedanken sind frei

KUNST Zum Gallery Weekend präsentiert die Galerie Crone Jerszy Seymour mit einer Einzelausstellung. Seymour, der auch als Industriedesigner arbeitet, will die Grenze zwischen „funktionell“ und „nicht funktionell“ auflösen

Im „Brain Cave Spaceship“ entsteht ein Hirnlabor, halb Raumschiff, halb Höhle

VON INGA BARTHELS

In Jerszy Seymours Studio im Wedding herrscht geschäftiges Treiben. Junge Frauen und Männer laufen in den hellen Fabrikräumen umher und telefonieren, schweißen Metall, rauchen, basteln. „The Universe Wants to Dance“ heißt die Installation, an der so fieberhaft gearbeitet wird, der Titel stammt aus Hakim Beys anarchistischem Manifest „The Temporary Zone“. Und der Name ist Programm. Seymour spricht die 68er-Revolution an, den Slogan sous les pavés, la plage – der erste Stock der Galerie wird mit Sand gefüllt sein.

Dort, im „Brain Cave Spaceship“, entsteht ein Gehirnlabor, halb Raumschiff, halb Höhle, ein anarchischer Gedankenspielplatz. Im unteren Stockwerk leitet der Film „thank god hip hop, pop art and (your) desire are back“ diese Erfahrung ein. Komplett in Berlins Ringbahn gedreht, stellen Figuren in bunten Hoodies die Suche nach dem Heiligen Gral nach, der für Seymour Metapher für die Erfüllung der Begierde oder das göttliche Selbst ist. Im Film sind Knochen und Spiegel Symbole für Excalibur und Gral, ein extrem reduzierter HipHop-Beat ist die Hintergrundmusik. Mit einfachsten Mitteln soll ein möglichst großes Ergebnis erzielt werden.

Diese pragmatische Herangehensweise lässt Seymours berufliche Herkunft erkennen. Der Kanadier, 1968 in Berlin geboren, studierte erst Ingenieurswissenschaft, dann Industriedesign am Londoner Royal College of Art. Er zog nach Mailand und entwarf Stühle, Tische, Vasen und Gießkannen für namhafte Firmen wie Magis, Vitra und Moulinex. Nebenbei arbeitete er an experimentellen Projekten. Mit „House in a Box“ entwarf er 2002 ein aufblasbares, mit seinem Lieblingsmaterial Polyurethanschaumstoff besprühtes Haus, das überall aufgebaut werden kann, also maximale Wohnfreiheit bietet.

Die moderne Auffassung von Design, günstige Produkte für die Massen zu erschaffen, ist für Seymour im Zeitalter des späten Kapitalismus mit seinem Überangebot an billigen Waren längst überholt. Design soll größere Fragen beantworten können, Fragen der Nachhaltigkeit von Objekten, Fragen danach, wie wir in Zukunft unser ganzes Leben gestalten wollen. Diese Fragestellungen hat er in seinen konzeptionellen Arbeiten stets verfolgt. Erst schuf er einen Nullpunkt des Designs, in einer Reihe von Projekten, die er „Scum“ nannte. Design, das in keiner Beziehung steht zu Menschen, Moral, Geschmack, Gesellschaft, um von dort aus etwas Neues aufzubauen. Der erste Schritt war die Rückbesinnung auf den Einzelnen. Inspiriert von Henry David Thoureaus „Walden“ mietete Seymour einen Raum in Berlin, fabrizierte Plastik aus Kartoffeln, schuf Möbelstücke ohne moderne Techniken. In seinen Amateur-Projekten arbeitete er dann mit anderen zusammen, kochte, spielte mit Materialien und schuf nebenbei Möbelstücke.

Das spielerische Bewegen in verschiedenen Kontexten macht Seymours Werk aus. Neben der Show in der Galerie Crone arbeitet er weiterhin als Industriedesigner. Außerdem ist er Direktor des „dirty art department“ am Amsterdamer Sandberg Institut, einem interdisziplinären Masterprogramm, das die Grenze zwischen freier und angewandter Kunst durchbrechen will.

Die Begeisterung für dieses Projekt ist ihm anzumerken. Seine Chance, die Welt ein wenig zu verändern. Die Galerie ist für ihn ein Ort, der ihm ermöglicht, frei zu arbeiten. „Mir ist egal, ob ich Künstler bin oder Designer, funktionelle oder nicht funktionelle Dinge schaffe. Für das, was ich machen will, brauche ich diese Bandbreite“, sagt er. Seymour hat Großes vor: „Das ultimative Kunstprojekt wäre, vielleicht ganz traditionell, die Industrie selbst zum Kunstprojekt zu machen. Nicht für Kunstsammler, für die reale Welt.“ Ihn interessieren autonome Situationen, alternative Wirtschaftssysteme.

Ein kleiner Versuch eines solchen autonomen Raumes ist sein Gehirnlabor. Wobei er sich dessen Einbettung in der Kunstwelt durchaus bewusst ist: „Ich fühle mich ein bisschen wie Robin Hood. Wenn die Menschen mir Geld geben, für das, was ich mache – großartig. Ich betrachte das als Treibstoff für meine Rakete. Nur Kunst zu machen, in Museen und Galerien zu sein, oder auch für die Industrie zu entwerfen, kann nicht das Endziel sein.“

Was auch immer das Ziel letztlich sein wird, es ist zu wünschen, dass Seymour der Kunstwelt noch ein wenig erhalten bleibt Die Oszillation zwischen Popkultur und Kunsttheorie, Systemkritik und Humor in Seymours Werk und sein Widerstreben, sich einem bestimmten Kontext zuzuordnen, machen ihn zu einem Künstler der Zukunft.

■ Jerszy Seymour: „The Universe Wants To Play“. 24. 4.–8. 6. 2013, Galerie Crone, Rudi-Dutschke-Straße 26. Eröffnung heute, 18–21 Uhr