„Die Regierung ist planlos“

AFGHANISTAN Ein Problem der Bundeswehr, findet Achim Wohlgethan, sind undefinierte Ziele. Von der Idee, mit gemäßigten Aufständischen zu sprechen, hält der Autor gar nichts

■ Der 42-Jährige gehörte in Kabul und Kundus zu den Vorauskommandos. 2006 verließ er das Militär, heute arbeitet er als Sicherheitsberater. In „Endstation Kabul“ und „Operation Kundus“ schildert er seine Einsätze als Elitesoldat.

INTERVIEW CIGDEM AKYOL

Herr Wohlgethan, heute findet in London die Afghanistankonferenz statt. Die Bundesregierung steht unter Druck, hat jetzt schon zugesichert, zusätzliche Soldaten zu entsenden.

Achim Wohlgetan: Zunächst sollten diejenigen, die das entscheiden, mal nach Afghanistan, sich einen Helm aufsetzen und Patrouille fahren. Dann helfen natürlich mehr Bundeswehrsoldaten dort dabei, besser handeln zu können. Wichtig ist aber eine endgültige Entscheidung über die Vorgehensweise. Bisher geht die Bundesregierung planlos vor. Auch die Ziele unseres Einsatzes sind nicht klar definiert.

Befindet sich die Bundesrepublik im Krieg am Hindukusch?

Selbstverständlich, wer etwas anderes sagt, der lügt. Wenn sich mehrere Parteien bei Gefechten gegenüberstehen und auf beiden Seiten Tote zu beklagen sind, was soll das anderes sein?

Und wenn von Krieg gesprochen wird, wird dann vielleicht alles besser?

Natürlich, für die deutschen Soldaten brächte die Einstufung ihrer Mission als Krieg die Erleichterung mit sich, dass sie nicht so rasch strafrechtliche Ermittlungen befürchten müssten. Dann würden sich auch endlich die Einsatzregeln ändern, nach denen ich nur reagieren darf, wenn ich angegriffen werde. Im Krieg aber kann ich auch im Verdachtsfall aggressiv vorgehen.

Werden die Soldaten ausreichend auf den Einsatz in Afghanistan vorbereitet?

Ich beispielsweise habe zwar einen Kurs besucht, aber der bereitete eigentlich auf den Einsatz im Kosovo vor. Respekt wurde uns überhaupt nicht beigebracht. Deswegen waren meine ersten Touren durch Kabul ein Kulturschock. Ich war in Krankenhäusern, der Geruch dort und das Leid spottete jeder Beschreibung. Weibliche Opfer von Selbstanzündungen lagen auf den Fluren. Verstümmelte Kinder, die beim Spielen auf eine Mine getreten waren.

Aus Deutschland heißt es: „Seid vorsichtiger!“ Aus dem Ausland wird mehr Risiko von den deutschen Truppen gefordert. Berlin schickt nun mehr Soldaten, aber engagiert sich auch mehr im zivilen Aufbau. Wie beurteilen Sie das?

Es gibt Operationen, da sollten die Deutschen mehr wagen. Nur 20 Prozent der Soldaten verlassen das Camp. Aber nur wer rausgeht, kann Ergebnisse erzielen, kann Kontakte herstellen und die Bevölkerung kennenlernen. Natürlich ist die Gefahr, dass es zu Gefechten kommt, dann wesentlich größer. Wenn ich aber etwas erreichen will, muss ich raus. Es gibt riesige Stäbe von Leuten, die nichts machen. Die Politik hat den Oberkommandierenden vor Ort ganz klare Anweisungen gegeben: „Einigelungstaktik“, lieber in den Camps bleiben und nicht nach draußen gehen. Verwundete oder gefallene Soldaten lassen sich halt schlecht erklären.

„Aber nur wer rausgeht, kann Ergebnisse erzielen, Kontakte herstellen und die Bevölkerung kennenlernen“

Andererseits kritisieren Sie, die Truppen vor Ort seien gnadenlos überfordert. Was denn nun?

Die Ausrüstung ist miserabel und nicht einsatztauglich. Es fehlen gepanzerte Fahrzeuge, es fehlt die Luftunterstützung durch Hubschrauber für eine Evakuation im Notfall.

2014 will man „die Verantwortung übergeben“. Und Guttenberg schlägt jetzt schon vor, mit „gemäßigten Aufständischen“ zu sprechen. Gute Idee?

Nein, überhaupt nicht. Denn man kann in Afghanistan nicht so einfach zwischen Gut und Böse unterscheiden. Außerdem: Wer soll denn ein „gemäßigter Aufständischer“ sein? Wenn ich das herausgefunden habe und mit so einem spreche, gebe ich direkt zu, dass die afghanische Regierung korrupt ist und nicht in der Lage, dass eigene Land zu kontrollieren.