Therapeutische Effekte

Martina Hingis ist zurück im Profitennis. Zwei Spiele hat sie bereits gewonnen, weitere sollen folgen. „Ich bin besser als vor drei Jahren“, sagt die 25-jährige Schweizerin

BERLIN/BRISBANE taz ■ Klar, sie hatte die Nase voll vom Tennis. Der Körper litt unter Verschleiß; Füße und Knöchel schmerzten. Ein Liebling der Zuschauer war Martina Hingis auch nie. In Paris bei den French Open wurde sie gelegentlich ausgebuht. Sie dominierte, ohne charismatisch zu sein. Als ihre Überlegenheit auf den Tennisplätzen schwand, zog die Schweizerin die Konsequenz: Sie trat zurück. Im Alter von 22 Jahren. Nach einer schöpferischen Pause, einem Moratorium von drei Jahren, spielt Martina Hingis wieder Profitennis auf der Tour des Ausrichters WTA. Sie hat für ein australisches Turnier in der Nähe von Brisbane eine Wild Card erhalten.

Die Eintrittskarte in die Welt des Tenniszirkus hat Hingis gleich genutzt. In der ersten Runde besiegte sie die Venezolanerin Maria Vento-Kabchi, auf Rang 62 der Weltrangliste befindlich. Auch in der folgenden Runde reichten Hingis zwei Sätze, um diesmal die Tschechin Klara Koukalova (Nummer 35) nach einer guten Stunde zu bezwingen.

Arbeit am Aufschlag

Hingis is back. Es soll die beste Hingis sein, die je einen Hartplatz betreten hat, das sagt die Rückkehrerin selbst. „Ich bin eine bessere Spielerin als damals. Das ist auch nötig. In der Vergangenheit bin ich quasi ohne Aufschlag ausgekommen, das geht nun nicht mehr“, hat sie in Australien an der Gold Coast gesagt. Ihr ehemaliger Coach, Nick Bollettieri, hat sie früh genug vor den Folgen der Revolution gewarnt, die das Frauentennis in ihrer Abwesenheit erfasst hat. In einer E-Mail ließ er die gebürtige Slowakin, mit 16 Jahren jüngste Nummer eins der Welt, wissen, dass sie bei ihrem Unterfangen mehr als nur Glück brauche. „Der Aufschlag ist ein immens wichtiger Faktor. Das Spiel hat sich in der Zwischenzeit verändert“, mahnte er. Wer heutzutage eine deutliche Schwäche zeige, bekomme sofort Probleme. Physischer und schneller sei der Sport geworden.

Aber gerade am Aufschlag und an der Fitness hat Hingis gearbeitet, mit Defiziten hätte sie sich wohl kaum der Konkurrenz gestellt, zumal die 25-Jährige bei den Australian Open, die am 16. Januar beginnen, für Furore sorgen will, bei einem Turnier, das sie bereits drei Mal gewonnen hat. „Man muss mit dem Spiel wachsen“, sagt Hingis, „man muss besser, stärker und weiser werden.“ Und weiter: „Der erste Aufschlag muss sehr sicher kommen, sonst bringen dich die Mädels von heute um, sie sind sehr aggressiv und zögern nicht, einen zu attackieren.“ Hingis hat direkten Kontakt zu einem Exemplar dieser aggressiven Spezies, zu der Französin Tatjana Golowin. Mit ihr spielt sie Doppel. Golowin ist 17 Jahre alt und gilt als aufstrebendes Talent. Die gebürtige Russin reifte in der Sonne Floridas – wie viele andere Sternchen auch.

Freundliche Fans

Martina Hingis genießt ihren Wiedereintritt in die Welt der Rackets und Matchbälle. „Ich gehe auf den Platz wie ein Kind in den Spielwarenladen“, offenbarte sie. Die australischen Fans bereiteten ihr zudem einen warmen Empfang. „Manchmal war das ja anders, also ist es schön, sie auf meiner Seite zu haben.“ Sie hat die Liebkosungen der Masse gebraucht, den Applaus, die Siege. „Ich hatte ein sehr schönes ruhiges Leben zu Hause ohne Stress und Reiserei, aber ich habe das Spiel vermisst. Manchmal war ein Ausritt der einzige Grund für mich, morgens aufzustehen.“ Nun hat sie ein paar Gründe mehr, sich aus dem Bett zu schälen. Zum Beispiel das Match im Viertelfinale gegen Nuria Llagostera Vives. Martina Hingis hat sich bereits mit der Gegnerin auseinander gesetzt und herausgefunden, dass diese „keine große Waffe“ besitze – im Gegensatz zum wieder gut gefüllten Arsenal der Rückkehrerin.

MARKUS VÖLKER