„Merkel nimmt uns einfach alles weg“

SPANIEN Der Erfolg im Fußball war ein letzter Trost für die krisengeplagten Spanier. Und jetzt das!

„Und da erzählt Rajoy, im Bankenrettungspaket gebe es kein Kleingedrucktes“

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MADRID taz | „Überfahren“ – „Überrollt“ – „Exekutiert“. Der ansonsten bei Schlagzeilen sehr kreativen spanischen Sportpresse hatte es nach den haushohen Niederlagen des FC Barcelona in München und des Real Madrid in Dortmund offenbar die Sprache verschlagen. Auch der Titel „Palizowski“ – übersetzt so etwas wie „Prügelowski“ – unter dem Bild von Robert Lewandowski, der alle vier Dortmunder Tore gegen Madrid erzielte, wirkte mehr als gezwungen. Der Schock saß wohl einfach zu tief, um spät in der Nacht noch gute Aufmacher zu gestalten. Jahrelang daran gewöhnt, Europa im Clubfußball und zuletzt selbst mit der Nationalmannschaft zu beherrschen, kam das Debakel wie ein heftiger Schlag aus heiterem Himmel.

Krise, Kürzungen, Kanzlerin und jetzt auch noch das … die Depression war am Donnerstag in den Bars und Kneipen Madrids zu spüren. Da war sie wieder, die alte spanische Weisheit, nach der Fußball ein Spiel von elf gegen elf ist und am Ende immer Deutschland gewinnt. „Merkel nimmt uns einfach alles weg“, lautete das Urteil an so manchem Tresen.

Waren es die kleinen Freuden der Europameisterschaft, die drakonische Sparmaßnahmen des konservativen Regierungschefs Mariano Rajoy zumindest für ein paar Tage vergessen machten, scheinen die Spanier nach dem Debakel von Deutschland endgültig in der Krise angekommen zu sein. Dass Europa auseinanderfällt und Spanien nicht einmal mehr im Fußball dazu gehört, wurde plötzlich traurige Realität. Dass im Radio seit Tagen von einem neuen Sparpaket und selbst von einer Anhebung des Rentenalters auf über 67 Jahre die Rede ist, verschärft die Diskussionen noch. „Und da erzählt Rajoy, im Bankenrettungspaket gebe es kein Kleingedrucktes“, lautete eine der Tausende von enttäuschten Nachrichten auf Twitter kurz nach dem Abpfiff.

Es ist von jeher eine Mischung aus Bewunderung, Neid und Ablehnung, wenn es um die Deutschen – die Quadratschädel aus der Mitte Europas – geht. Jetzt wo jährlich Zehntausende junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit von 26 Prozent Richtung Deutschland fliehen, verschärft sich diese Hassliebe. Die deutschen Touristenmassen, die sich Wochenende für Wochenende dank Billigflieger und guter Konjunktur zu Hause durch Madrids Innenstadt wälzen, werden längst wieder misstrauisch und mit Ablehnung beäugt. So wie einst in den 1980er Jahren vor dem Boom, der Spanien wirtschaftlich „in die Champions League“ brachte, wie Rajoys Vorgänger, der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero, es gerne ausdrückte. Es schmerzt einfach, Kneipen zu sehen, in denen fast nur noch Besucher aus Nordeuropa sitzen.

Fußball war bis Anfang dieser Woche so etwas wie die Rache des kleinen Mannes. Ein Foto, das Angela Merkel bei der Europameisterschaft 2012 völlig ungehemmt feiernd beim Sieg der Nationalelf gegen Griechenland zeigte, machte in Spanien die Runde. Der spätere Titelgewinn der spanischen Elf war die ausgleichende Gerechtigkeit.

Die Deutsche Welle auf Spanisch verbreitete am Wochenende das Zitat der Bundeskanzlerin, die von einem rein deutschen Champions-League-Finale schwärmte. Die Presse auf der Iberischen Halbinsel griff dies kritisch auf. Doch da waren sich in Madrid noch die meisten sicher, dass vielleicht der FC Barcelona gegen die Bayern ausscheiden werde, aber Real gegen Dortmund? Undenkbar!

Jetzt ist dies fast schon Gewissheit, auch wenn die Sportzeitung AS mit dem Mut der Verzweifelten zur „Operation 3:0“ beim Rückspiel im Bernabéu trommelt. REINER WANDLER