Gefährdete Pionierarbeit

SAMMLUNG Das Studienzentrum der Bremer Weserburg ist für seine Verdienste auf dem Gebiet der Künstlerpublikationen bekannt, derzeit präsentiert eine Ausstellung dort Audio-Kassetten. Die Zukunft des Zentrums jedoch scheint unsicher

VON RADEK KROLCZYK

Inmitten unzähliger Audio-Kassetten findet sich dieser Tage wieder, wer die dritte Etage der Bremer Weserburg betritt. Klassisch museal werden in Vitrinen Kassetten von Künstlern der Lautpoesie wie Gerhard Rühm und Ernst Jandl, dem Experimentalmusiker John Cage oder der Kunst-Punkband Die tödliche Doris gezeigt. Ihr Inhalt bleibt weitgehend verborgen, in aufwendig gestalteten Kartonschubern, farbigen oder durchsichtigen Kunststoffschachteln wirken sie hier wie skulpturale Objekte.

Entwickelt hat die Ausstellung „Bandsalat – Aufnahme, Rücklauf, Wiedergabe, Stopp“ das in der Weserburg ansässige Studienzentrum für Künstlerpublikationen als erste umfangreiche Aufarbeitung dieses Mediums. Für derartige Pionierarbeit ist das Studienzentrum bekannt: Zahlreiche Ausstellungen haben in den Jahren seit seiner Gründung 1999 jeweils eine künstlerische Publikationsform erstmals in großem Stil untersucht und ausgestellt: die Vinyl-Schallplatte etwa, das Künstlerbuch oder die Mail Art. Nicht wenige der Schauen gingen anschließend auf Tournee, wurden in Moskau, Barcelona, Paris und Porto gezeigt.

Einzigartig ist die Beschäftigung mit Radiokunst, die das Studienzentrum digital archiviert. Der Ursprung liegt in einer privaten Sammlung: 1986 lernte Thomas Deecke, Gründungsdirektor der Weserburg, den Belgier Guy Schraenen kennen, der ihm von seinem „Archive for small press & communication“ erzählte. Darin sammelte Schraenen von Künstlern gestaltete Briefe, Bücher, Schallplatten, Flyer und Einladungskarten. Im persönlichen Austausch mit Künstlern hatte er sie über Jahre hinweg zusammengetragen, darunter Arbeiten wichtiger Künstler wie Christian Boltanski, Dieter Roth, Sol LeWitt, John Cage und Dick Higgins. Schraenen bedauerte, dass sie nie wie Kunstwerke behandelt würden, stets zeige man sie mit dem Rücken zum Publikum, erzählt Deecke.

Bei der Gründung der Weserburg erinnerte er sich an diese Begegnung. Zum Aufbau einer eigenen Kunstsammlung fehlten die Mittel, eine Sammlung für Künstlerpublikationen aber war vorstellbar. „So etwas kostet wenig Geld und schafft ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Deecke. Irgendwann verkaufte Schraenen seine Sammlung an die Weserburg, dort ist sie durch Künstlernachlässe, Schenkungen und Ankäufe beständig gewachsen. Eine umfangreichere Sammlung findet sich nur am Museum of Modern Art in New York.

Vor wenigen Wochen setzte der Deutsche Kulturrat das Studienzentrum auf seine „Rote Liste“, die auf die prekäre Lage von Kulturinstitutionen aufmerksam machen soll. Carsten Ahrens, Direktor der Weserburg, erhob zwar Einspruch gegen die Erwähnung des Zentrums, das formal eine Abteilung des Museums ist. „Die Bedrohung des Studienzentrums ist offensichtlich, deshalb bleibt es auf der Liste. Dass der Museumsleitung diese Platzierung nicht gefällt, ist verständlich“, stellt aber Stefanie Ernst vom Kulturrat gegenüber der taz klar.

Tatsächlich soll Ahrens Ende letzten Jahres intern verkündet haben, das Studienzentrum 2014 abstoßen zu wollen. Das hat Leiterin Anne Thurmann-Jajes bei einer Sitzung des Forschungsverbundes Künstlerpublikationen berichtet. Ahrens, ebenfalls Mitglied des Verbundes, hat damals nicht widersprochen. Zurück ruderte er erst, als die Debatte öffentlich wurde: Zumindest nach außen wird nun behauptet, das Studienzentrum sei integraler Bestandteil des Museums, man suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten.

Es scheint aber, als habe die Abwicklung längst begonnen: Für sämtliche noch für dieses Jahr vorgesehenen Ausstellungen wurde das Geld gestrichen. „Dabei war es eine Bedingung für den Verkauf von Gerhard Richters ‚Matrosen‘, dass ein Teil davon dem Studienzentrum zugute kommt“, schimpft Deecke. Ende 2010 hatte das Museum das Gemälde für rund 8,4 Millionen Euro bei Sotheby’s versteigert.

Der Stiftungsratsvorsitzende der Weserburg, Klaus Sondergeld, fand gegenüber dem Weser-Kurier Ende Januar keine klare Antwort auf die Frage nach der Zukunft: Ob und in welcher Form das Studienzentrum bestehen bleibe, könne er nicht sagen. Auch in einem bislang unter Verschluss gehaltenen Entwurf für einen Neubau der Weserburg in der Überseestadt, der der taz vorliegt, ist kein Platz dafür vorgesehen.

In der vergangenen Woche nun wandten sich Mitglieder des Forschungsverbundes, darunter Schraenen und Deecke, in einem Schreiben an Bürgermeister und Kultursenator Jens Böhrnsen (SPD). Die Unterzeichner betonen die Eigenständigkeit des Studienzentrums. Und setzen sich für eine Stärkung der von Thurmann-Jajes geleiteten Abteilung gegenüber der Museumsdirektion ein. „Eine eigene Stimme wird dem Studienzentrum dabei zunehmend verwehrt“, kritisieren die Unterzeichner.

■ Ausstellung „Bandsalat“: bis So, 12. 5., Weserburg, Di, Mi und Fr 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr