Ein Zentrum kreativer Geister

RELAUNCH Erst mal alles leer räumen: Am Samstag eröffnen die Kunst-Werke unter der neuen Leitung von Ellen Blumenstein

VON INGO AREND

Wer genau hinschaut, erkennt die feinen Risse, die die Fassade des Atelierflügels im Innenhof der Kunst-Werke (KW) durchziehen. Die instabilen Fundamente des Loft-Hauses direkt nebenan, in dem Thomas Olbricht seinen „me – Collectors Room“ untergebracht hat, drücken so stark auf die angrenzenden KW, dass sich deren Wände verzogen haben. Ein Bauschaden wie eine Metapher: Sinnbild für die prekäre Lage progressiver Kunst in Berlins Mitte zwischen Privatmuseen und Nobelshopping.

Ellen Blumenstein zeigt keine Anzeichen von Panik, wenn sie von dem Desaster erzählt. Nur ein paar Tage ist es noch bis zur Eröffnung „ihrer“ Kunst-Werke. Dass quasi das halbe Haus noch eine hässliche Baustelle ist, macht sie nicht depressiv. Wer sich mit der neuen Kuratorin in den leer geräumten Kunst-Werken trifft, erlebt eine Frau, die weiß, was sie will. Zwischendurch gibt sie dem Maler Tipps, der das neue Design auf die Wände pinselt.

In den Kunst-Werken ist die neue Chefin keine Unbekannte. Die 38 Jahre alte, in Hessen geborene Kuratorin hat hier schon von 1998 bis 2005 gearbeitet. Zusammen mit Klaus Biesenbach und Felix Ensslin organisierte sie damals die heftig umkämpfte RAF-Ausstellung „Zur Vorstellung des Terrors“. International machte sie auf sich aufmerksam, als sie 2011 den isländischen Pavillon auf der Venedig-Biennale kuratierte. In Berlin richtig bekannt wurde sie als eine der Galionsfiguren des Aufrufs „Haben und Brauchen“, mit dem Berliner Kulturschaffende 2011 Front gegen Klaus Wowereits prestigefixierte Kulturpolitik machten. Auf das Geheimrezept hinter dem Aufruf scheint sie sich auch für den Relaunch des Hauses besonnen zu haben, dem sie seit Anfang des Jahres vorsteht: Gemeinsam sind wir stark.

Das Haus im Mittelpunkt

Denn Blumenstein beginnt ihre Arbeit nicht mit einer klassischen Ausstellung, sondern stellt das Haus selbst in den Mittelpunkt. Es klingt nach soziokulturellem Ungefähr, wenn es in der Einladung heißt, dass sie sich die KW als „vitalen sozialen Ort“ vorstellt, „der sich in den Zwischenräumen von angewandter Vergangenheit, gestalteter Gegenwart und möglicher Zukunft situiert und in dem drängende Fragen unserer Zeit diskutiert werden können“.

Andererseits brauchen die KW eine Standortbestimmung: Ästhetischer Abenteuerspielplatz eines historischen Umbruchs können sie nicht mehr, nur etablierter white cube wollen sie noch nicht sein. „Young and emerging“ oder „Krittipolitti“? Irgendwo dazwischen liegt die Zukunft der KW, einer von Deutschlands interessantesten, aber auch ärmsten Kunstinstitutionen. Als Ouvertüre ist eine Ausstellung, die als Reflexion über das Potenzial einer Institution daherkommt, nicht die schlechteste Idee.

Vier Wochen werden die Besucher durch ein entkerntes Haus gehen. Das mit einem neuen Eingang schon an der Auguststraße und nicht erst am Ende des Hofs beginnt. Auf dessen Wände der bulgarische Künstler Nedko Solakov krakelige Kommentare zur Geschichte der KW geschrieben hat. In dem Objekte als „Teaser“ für künftige Ausstellungen werben: Die des Documenta-13-Stars Kader Attia, der Ende Mai als erster Künstler hier ausstellt, für das Projekt „Waffen“ im nächsten Jahr, das Gemeinschaftsprojekt „Die Wette“ mit dem Tanzfestival „Foreign Affairs“ im Juli. Wenn Blumenstein von der Idee erzählt, kulturhistorische Artefakte wie das zwei Meter große Modell einer Fruchtfliege aus der Sammlung des Dresdner Hygiene-Museums im Kunstkontext auszustellen, gerät sie ins Schwärmen.

Ihre Vorgängerin Susanne Pfeffer setzte auf die markante Handschrift einer Kuratorin in einer singulären Schau. Die gut vernetzte Blumenstein will die KW als interdisziplinäres Zentrum kreativer Geister reloaden. Deswegen hat sie den Verlag diaphanes als Betreiber des Buchshops, den Kurator Daniel Tyradellis als Editor einer Schriftenreihe, die Urbanismuskritiker von Arch+, die Soundarbeiter des Neuköllner Feed, die Filmenthusiasten des Arsenal als Kooperationspartner gewonnen. Einen neuen „Vermittlungsraum“ dürfen externe Gruppen bespielen. Der dritte Stock der KW wird „Public Programs“ vorbehalten sein.

Keine neue Zeitrechnung

Blumenstein gibt sich nicht dem Größenwahn hin, mit ihr beginne eine neue Zeitrechnung. Mit dem Titel „494 Relaunch“ reiht sie sich auf dem Zeitstrahl der Kunst-Werke seit der Gründung 1990 als 494. Projekt ein. Zwar steckt in dem Konzept die Gefahr des Gemischtwarenladens. Als wolle ein Haus, das keinen Ausstellungsetat hat, die Not der Kooperation zur ästhetischen Tugend machen. Dabei hat Blumenstein sinnliche Abenteuer im Sinn. „Kunst ist grenzüberschreitend“, sagt sie mit leiser, aber fester Stimme. „Man kann mehr von Kunst verstehen, wenn man an die Grenzen geht.“

■ Eröffnung Samstag, 17–24 Uhr. Mi.–Mo. 12–19 Uhr, Do. 12–21 Uhr