HETEROS PFLEGEN IHREN BART, SIND SONST ABER UNBEHAART
: Der Ostwestfale kann dazu nichts beitragen

VON ENRICO IPPOLITO

Ja, ja, der Frühling ist da. Die Sonne scheint, der Schnee ist weg. Alles super, alles schön. Alle so voll froh. Und was kommt? Ein käsebleicher Mann. In zu kurzer und zu bunter Short. In zu kleinem, doch ausgeleiertem Unterhemd. Und im Gesicht? Gepflegter Vollbart. Händchen haltend mit einem Vintage-Girlie. Süß, denke ich – und verdrehe die Augen.

Das Unterhemd des jungen Herren ist dermaßen ausgeleiert, es kommen die Brustwarzen zur Geltung. Kein Haar – wirklich kein einziges. Eine glatte Brust – wie ein ausgerupftes Huhn. Was soll das? Ich frage L., mit dem ich am Kanal spazieren gehe. Er weiß auch keine Antwort.

Heterosexuelle Männer mit Vollbart und rasierter Brust? Haben die denn überhaupt noch Schamhaare? Oder sind die auch abrasiert? Ach, natürlich rasiert er sich seine Schamhaare: Ohne Haare sieht der Schwanz ja auch länger aus. Und ein großer Schwanz steht für Männer stellvertretend für viel Macht. Solche Gedanken schießen mir durch den Kopf. Nicht weil ich ein perverser Lüstling bin. Okay, vielleicht eben deswegen. Egal.

Aber warum lassen sich Männer einen Rauschebart wachsen, müssen aber am Körper weiterhin babypopoglatt rasiert sein? Es sieht nicht nur scheiße aus, es macht auch überhaupt keinen Sinn. Angenommen, der Mann will mit seinem Vollbart viril aussehen, warum demonstriert er seine ganze Männlichkeit nicht am restlichen Körper?

In der queeren Szene scheint das anders zu sein. Haare überall. Männlichkeitswahn. Donnerstagabend im Möbel Olfe – kein Mann ohne Bart. Der Ort ist übrigens austauschbar. Sonntags im Ficken3000, einmal im Monat Berghain Kantine zur Pet Shop Bears oder unregelmäßig auf der Cocktail d’Amore. Die im Tanktop zeigen stolz ihre haarigen Schultern. Balzverhalten. Machogehabe. Ich stelle mir vor, wie sie beim Sex nur grunzen, weil stöhnen weibisch ist.

Das Schöne am Spiel mit der Gesichts- und Körperbehaarung ist ja der Bruch. Männer, die maskulin aussehen, durchbrechen, sobald sie nackt sind, das Machogehabe. Die Ebenen verschwimmen. Ob top oder bottom, interessiert nicht. Ein bisschen wie in den guten Siebziger-Jahre-Pornofilmen. Der kernige Typ, der sich ficken lässt und dabei mal grunzt und auch mal stöhnt. So wie es eben kommt. Keine andere Dekade hat die Körperbehaarung so zelebriert wie diese. Und in keiner anderen Dekade fühlen wir uns mittlerweile so zu Hause – vor allem ästhetisch. Eskapismus aus der Realität einerseits.

Retrowelle und so andererseits – auch in der Pornografie. Kein anderes Medium feiert haarige Männer sowie die siebziger und achtziger Jahre ab wie das Internet. Überall Tumblr-Blogs voller Bärte und Haare, vor allem von schwulen Männern. Neben Katzenfotos das große Ding. F. und B. kommen zu mir nach Neukölln. Ich zeige ihnen auf dem Rechner „TheDailyBeard“ – ein Blog mit behaarten, vermeintlich maskulinen Männern. Ich beginne zu schwadronieren und will die heterosexuelle, weibliche Perspektive wissen. B. ist so mittelbegeistert von dem Thema. Und F. sagt nur: „Ich komme aus Ostwestfalen.“