Ökostrom ersetzt Atomkraft

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) will den Eindruck erwecken, Erdgas müsse die abzuschaltenden Atommeiler ersetzen. Doch es werden die erneuerbaren Energien sein

FREIBURG taz ■ Die Atomlobby findet immer ihre Gründe für die Nukleartechnik. In den Siebzigern hieß es, die Lichter gehen aus, wenn das Atomkraftwerk Wyhl nicht gebaut wird. Es wurde nicht gebaut, und die Lichter blieben trotzdem an. In den Achtzigern sollte Atomstrom gegen das Waldsterben helfen – doch die Entschwefelung der Kohlekraftwerke war effizienter. In den Neunzigern wurde die Atomkraft gegen den Klimawandel positioniert, obwohl sie auch hier als Retter nicht taugt. Und heute soll die Kernspaltung die Abhängigkeit von den Importenergien reduzieren – wobei man still übergeht, dass auch das Uran keine heimische Energie ist.

So sehen im russisch-ukrainischen Gasstreit jetzt jene ihre Chance, denen der Atomausstieg stets ein Dorn im Auge war. Wirtschaftsminister Michael Glos und manche seiner Unionskollegen versuchen den Eindruck zu erwecken, die künftig wegfallenden Mengen an Atomstrom müssten durch Strom aus Erdgas ersetzt werden – auf Kosten der Versorgungssicherheit.

Doch es wird nicht das Gas sein, das die Atomkraft ersetzt. Das weiß niemand besser als die Stromkonzerne selbst. Denn nach deren Prognosen werden jene Kilowattstunden, die künftig aufgrund abgeschalteter Atomkraftwerke nicht mehr zur Verfügung stehen, durch den Ausbau der erneuerbaren Energien kompensiert.

Die Fakten: Nach dem Atomkonsens werden in der aktuellen Wahlperiode vier Atommeiler vom Netz gehen. Nach jüngsten Zahlen des Bundesumweltministeriums sind dies im Juni 2008 Biblis A, im April 2009 Neckarwestheim 1 und Biblis B sowie im September 2009 Brunsbüttel. Rund 26 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr erzeugen diese Reaktoren derzeit. Also gilt es, diese Menge binnen vier Jahren in Deutschland zu ersetzen oder einzusparen.

Und das wird dank Ökostrom gelingen. So zumindest die Prognosen, die der Verband der Netzbetreiber (VDN), eine Organisation im mächtigen Stromversorgerverband VDEW, publiziert. Ausgangspunkt sind rund 45 Milliarden Kilowattstunden, die im Jahr 2005 in Deutschland aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse erzeugt wurden. Nun schätzt der VDN – und der ist ökologischer Wunschträume unverdächtig –, dass es im Jahr 2009 etwa 69 Milliarden Kilowattstunden sein werden. Das ist ein Plus von satten 24 Milliarden – also etwa so viel, wie durch den Atomausstieg fehlt. Nur am Rande erwähnt sei dabei, dass in der Vergangenheit die Entwicklung der erneuerbaren Energien zumeist noch schneller ging als selbst von ihren Freunden prognostiziert. BERNWARD JANZING