Auf der Suche nach einem neuen Europa

1. MAI Die Banken- und Finanzkrise ist auch eine Krise Europas. In Berlin wollen Enttäuschte und Aktivisten aus Italien, Spanien, Griechenland, und Portugal eine solidarische und europäische Antwort darauf geben

VON UWE RADA

Vor einigen Wochen rüttelte Jean-Claude Juncker an einem Tabu: „Wer glaubt, dass sich die ewige Frage von Krieg und Frieden in Europa nie mehr stellt, könnte sich gewaltig irren“, warnte Luxemburgs Premier.

Junckers Warnung ging an die Adresse eines wachsenden Nationalismus in der Europäischen Union, die 2012 den Friedensnobelpreis bekam. Vor allem die Wahlkämpfe in Italien und Griechenland hätten ihn erschreckt, ließ Juncker wissen: „Plötzlich kamen Ressentiments hoch, von denen man dachte, sie seien definitiv abgelegt.“

Europa ächzt. Längst ist aus der Banken- und Finanzkrise auch eine Krise der Europäischen Union geworden. Demonstranten gehen mit Hitler-Merkel-Montagen auf die Straße. Am Stammtisch hierzulande wird über den „faulen Süden“ räsoniert.

Solidarität? Ach wo! Auch nicht in Berlin. In Friedrichshain und Kreuzberg sieht man die EU-Migranten vor allem als Mietpreistreiber denn als von der Krise Mitbetroffene. Renationalisierung heißt der Trend – und reicht von ganz rechts in Ungarn bis zu Beppe Grillos Anti-Euro-Kurs. Das Hemd ist wieder näher als die Hose. Auch am 1. Mai, dem ehemaligen „internationalen Kampftag der Arbeiterklasse“.

Aber stimmt das wirklich? Oder fehlt es einer linken, sozialen Antwort auf die Krise nur an einer europäischen Öffentlichkeit? Schließlich sind die jungen Wütenden, die in Madrid und Rom gegen die Spardiktate ihrer Regierungen auf die Straße gehen, keine Antieuropäer. Viele von ihnen haben im Ausland studiert. Sie waren die Nutznießer – und sind nun die Verlierer der Generation Erasmus.

In Berlin treffen sich manche von ihnen nun wieder. Junge Spanierinnen und Griechen, Italienerinnen und Portugiesen kämpfen gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, gegen die Macht der Banken, für ein soziales Europa, gegen die Spaltung in einen reichen Norden und einen armen Süden. Sie sind es, auf die Jean-Claude Juncker auch hinweisen müsste. Die Enttäuschten sind keine enttäuschten Europäer, sondern Gegner einer EU-Politik, die sich um Banken statt um die Zukunftschancen ihrer Bürger kümmert. Die Generation Erasmus wird zur Generation Protest.

Vier junge Europäer über die Krise und ihre Hoffnungen SEITE 44, 45