GEHT’S NOCH?
: Kadaver Italien

DIE WIEDERWAHL GIORGIO NAPOLITANOS SOLL DEN LEICHENGERUCH EINES VERWESENDEN POLITISCHEN SYSTEMS ÜBERDECKEN

Überraschend war es nicht, dass dann doch wieder der angebliche „Politikclown“ Beppe Grillo ranmusste, als es darum ging, die Wahrheit zu sagen: Was sich in Italien mit der Wiederwahl Giorgio Napolitanos zum Staatspräsidenten am vergangenen Samstag vollzogen habe, sei ein „kleiner Staatsstreich“ gewesen.

Überraschend war es lediglich, weil der lebende Lautsprecher Grillo bisher nicht durch Untertreibungen aufgefallen war.

Denn von was, wenn nicht von einem großen und echten Staatsstreich soll man denn sprechen, wenn der alte Mann des Apparats auf dem Altar der Stabilität alles opfert, wofür der bessere Teil Italiens seit Jahrzehnten gekämpft hat: die Abschiebung des Paten Berlusconi in den Knast, und wenn das schon nicht gelingt, dann wenigstens ins politische Abseits.

Die italienische politische Klasse hat einmal mehr gezeigt, dass sie nur ein Ziel hat: an der Macht in einer Pizzarepublik zu bleiben, einem Gebilde, dem die klügsten unter den eigenen Landsleuten nur noch mit Abscheu begegnen.

Der Vizechefredakteur der unabhängigen Tageszeitung il Fatto Quotidiano, Marco Travaglio, sagt es so: „Was am Samstag geschehen ist, würde einen Großmeister des Horrors wie Stephen King erbleichen lassen: Der übelriechende Kadaver eines verfaulten und unter der Last von Banden, Mafias, Korruption und Erpressungen in die Knie gegangenen Systems, verbarrikadiert sich in seinem eigenen Sarkophag, um den Gestank und die Würmer nicht entweichen zu lassen.“

Das ist die eine mögliche Übersetzung der Vorgänge südlich der Alpen; die andere lieferte die deutsche Qualitätspresse, Primus inter Pares die SZ, mit ihrer Lobpreisung Napolitanos, weil der nun den Berlusconi-Spezi Enrico Letta zum großkoalitionären Chef des Kadavers Italien machen will. Man müsse Napolitano ausdrücklich preisen: „Der alte Weise im Quirinal“ habe die „Demokratiemaschine“ wieder in Gang gesetzt. Der Spaghetti weiß halt nicht, was gut für ihn ist – und Hauptsache, die „Märkte“ reagieren positiv.

Italien war in seiner Geschichte – Renaissance! Privat-TV! – oft die Avantgarde Europas. Aber der Leichengeruch der Postdemokratie wird nicht mehr lange mit Leitartikeln wegzuparfümieren sein – und das gilt für die gesamte EU. AMBROS WAIBEL