„100 Polizisten mehr merkt niemand“

Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes ist für möglichst dezentrale Polizeiarbeit und gegen politische Irrlichter

taz: Herr Feltes, muss bei einer Polizeireform immer der Sicherheitsgedanke im Mittelpunkt stehen?

Thomas Feltes: Wenn man die Polizei reformiert und die internen Organisationsabläufe strafft, dann muss das primäre Ziel sein, die Aufgabenerledigung zu optimierten. Dass dies möglich ist, haben diverse Reformmodelle in anderen Bundesländern und im Ausland gezeigt. Polizeireform kann und sollte, aber muss nicht automatisch zu mehr Sicherheit und zu mehr Sicherheitsgefühl bei den Bürgern führen.

Die Polizei hat im Vorfeld der Fußball WM Sicherheitsbedenken. Werden dadurch nicht Ängste in der Bevölkerung geschürt?

Solange diese Ängste nicht konkretisiert werden, eher nicht. Zudem ist die WM ein Ereignis, das sich niemand entgehen lassen wird, ungeachtet etwaiger Ängste. Aber es ist wichtig, dass die Polizei den Aspekt des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bürger im Auge behält. Noch sehe ich hier für NRW aber keinen Anlass zu negativen Befürchtungen.

In der CDU gibt es Überlegungen, bei der WM die Bundeswehr einzusetzen. Wird die Trennung von Innen- und Außenpolitik aufgehoben?

Innen- und Außenpolitik sind in der Praxis schon längst nicht mehr getrennt. Unsere innere Sicherheit ist wesentlich auch von unserer äußeren Sicherheit abhängig. Die Frage muss also anders gestellt werden: Warum sollte die Bundeswehr bestimmte Aufgaben übernehmen? Weil die Polizeikräfte nicht ausreichen? Dies ist bislang nicht behauptet worden. Im übrigen könnte man Polizeibeamte aus den Niederlanden, Dänemark oder Frankreich ausleihen, was auch den Vorteil der Sprachkompetenz hätte. Die Schweiz hat dies bereits getan.

Kann die Bundeswehr die Arbeit der Polizei leisten?

Die deutsche Polizei ist seit geraumer Zeit auf dem Weg zu einer bürgerorientierten Polizei. Die Bundeswehr hat andere Ansätze und ist für andere Einsätze ausgebildet – auch wenn sie in Bosnien durchaus Vergleichbares leistet. Die Alternative wäre der Einsatz von privaten Sicherheitskräften zum Objektschutz. Natürlich auf Kosten der FIFA.

Die alte Landesregierung wollte die Polizeibehörden von 50 auf 16 verknappen. Schwarz-Gelb will nur zwei Präsidien auflösen. Macht eine Zentralisierung Sinn?

Richtig ist es, eine Polizei so zentral wie nötig und so dezentral wie möglich zu organisieren. Dieses Prinzip ist europaweit anerkannt. Es kommt weniger darauf an, ob es 50, 16 oder gar nur sechs Polizeibehörden sind – diese Zahl wäre für NRW gar nicht unvernünftig – sondern darauf, wie die Aufgaben verteilt sind und wie sicher gestellt ist, dass die Polizei einerseits bürgernah arbeiten kann, andererseits zentrale Aufgaben koordiniert erledigt werden.

Beamte sollen verstärkt in den Außendienst versetzt werden. Entspricht das den Bedürfnissen der Verbrechensbekämpfung oder Prävention?

Nicht alle Polizeibeamten, die bisher im Innendienst arbeiten, sind im wahrsten Sinn des Wortes „fit“ für den Außendienst. Teilweise polizeidienstuntaugliche Beamte, die derzeit noch oft Innendienst verrichten, müssen in anderen Verwaltungsbereichen eingesetzt werden können. Aber: Das Schlagwort „mehr Polizeibeamte auf die Straße“ ist ein politisches Irrlicht: Derzeit kommt zu einem beliebigen Zeitpunkt auf zirka 10.000 Einwohner ein im Streifendienst für den Bürger verfügbarer Polizist. Niemand kann ernsthaft glauben, dass einige hundert mehr Polizeibeamte „auf der Straße“ von irgendjemandem bemerkt würden. INTERVIEW: HOLGER PAULER