Übermannt vom großen Schlaf

HEISSE LUFT Air ist seit ihrem traumwandlerischen Debütalbum „Moon Safari“ kaum Neues eingefallen. Dem Publikum in Huxley’s Neuer Welt war’s egal

Die Band der gepflegten Langeweile war in der Stadt. Air, die Großmeister des elektronischen Phlegmas, waren aus Paris angereist und gastierten in Huxley’s Neuer Welt, und während draußen der Schnee niederging, war die große Halle samt Obertribünen tatsächlich so voll, dass die Garderobe schließen und das Security Personal um Höflichkeit bitten musste.

Nun sind Air nicht unbedingt der letzte Schrei – ihr Debüt „Moon Safari“ ist inzwischen auch schon wieder zwölf Jahre alt. Aber dank ihres guten Albums, dank guter Verbindungen zur seinerzeit hippen Pariser Elektronikszene, dank des Filmsoundtracks zu „The Virgin Suicides“ und mehrerer veritabler Radiohits ist aus dem französischen Duo Air eine Erfolgsnummer geworden, die einige durchschnittliche Platten später immer noch großen Hallen füllt. Wirklich verständlich wurde es am Mittwochabend nicht.

Denn Nicolas Godin und JB Dunckel gaben sich der Bescheidenheit hin. Dunckel spielte auf den Keyboards, Godin wechselte die Instrumente, in der Mitte thronte tatsächlich ein Liveschlagzeuger. Joey Waronker heißt der Mann, der wohl selten einen so angenehmen Job übernommen hat wie hier bei Air, denn er musste nicht mehr machen, als die Stücke mit gepflegten Beats zu untermalen. Die Prinzen des Grooves sind Air aber auch nie gewesen; ihr Charme bestand ja darin, der stumpfen Elektronik so etwas wie französisches Flair eingehaucht zu haben.

Die Show hatte sich also bewusst auf die Musiker reduziert, ab und an flimmerte eine Projektion im Hintergrund und es wurde auch lichtgemalt. Die Reduktion zeigte vor allem eins: wie bodenlos einfach diese Soundtapetenbahnen gestaltet sind. Es wurde klar, wie wichtig Godins Einsätze auf der Bassgitarre für die Band sind. Wie sehr besonders die Stücke von „Moon Safari“ davon lebten. Überhaupt die alten Stücke – das retrofreudige Publikum schien die Band ja als Vorbote eines aufkommenden 90er-Revivals zu verstehen.

Warum beispielsweise die ungleich wagemutigeren Add (N) To X niemals diesen Ruhm erreichten, ist ein Rätsel und eine weitere Ungerechtigkeit der Popmusikgeschichte. Air jedenfalls machten nicht viel mehr, als die gepflegte Langeweile ihrer Instrumentals mit der ihrer gesungenen Stücke zu mischen. Und zwischen Mickymausstimmen und Vocoder zu wechseln. Manchmal erreichte die Musik eine Weltraumtristesse, die Tristesse einer Raumfahrt vom Neptun zum Uranus und zurück (Bremen–Hildesheim im irdischen Maßstab). Manchmal, das hat Tristesse so an sich, schimmerte tröstende Melancholie hindurch, besonders in „Cherry Blossom Girl“. Traurig war, dass Air die eigenen Höhepunkte – „Kelly Watch the Stars“ und „Sexy Boy“ zum Ende hin – eher versemmelten. Es wurden Stücke ohne rhythmisches Rückgrat. Sie lahmten. Als ob sie durchfedern würden. Als ob bald der große Schlaf kommen würde und sie übermannen.

„Nachts an schneeweißen Stränden/ hielt ich ihre Jugend in den Händen“: Die Reduktion bedeutete immerhin eine Reduktion des bei Air immer mitschwingenden Kitschfaktors. Man schaue sich nur das Cover ihrer neuen Platte „Love 2“ an. Draußen machte die Weltraumkälte weiter und die Schneedecke wurde dichter. Das schrie nach einer Rekapitulation des Abends bei angenehmer Musik am Kaminfeuer. „Moon Safari“ ist dafür immer noch eine geeignete Platte.

RENÉ HAMANN