Nur für die Familie!

Krach um die WM-Kartenkontingente: Hamburg und Hannover haben die Vergabe ihrer Tickets nicht besonders weltmeisterlich geregelt. Politiker und Prominente genießen Vorzugsbehandlung

In Hamburg läuft die Vorzugsbehandlung höchst hanseatisch. Nur Hannover ist noch elitärer

VON KAI SCHÖNEBERG

Da brodeln die Stammtische: Wie einfach es ist, mit dem Thema Politikverdrossenheit Schlagzeilen zu machen, zeigt derzeit die Debatte um die Vergabe der WM-Tickets für die „Deutsche Fußballfamilie“. Für die Fifa gehören dazu der DFB und seine Landesverbände, Profivereine und die zwölf Ausrichter-Städte der Fußball-Weltmeisterschaft. Und die beglückt das Organisationskomitee mit 389.000 der insgesamt etwa drei Millionen WM-Karten. Klar, dass es da Stunk gibt. „Ihr Politiker, rückt Eure WM-Karten raus“, brüllt die Bild, „normale Fans“ müssten sich „in der Fifa-Lotterie quälen“. Einige wenige bekämen eine Fifa-Vorzugsbehandlung, wütet die Hannoversche Neue Presse. Ein prima Thema, um in der nachrichtenarmen Zeit die Leser gegen die da oben aufzuhetzen.

Natürlich ist es ein Unding, wenn tausende Otto Normalkickerfans zuerst am komplizierten Internet-Buchungssystem der Fifa verzweifeln, dann keine Karte bekommen, weil sie schlicht Pech haben oder nicht im Besitz der zum Buchen notwendigen Kreditkarte eines WM-Sponsors sind. Aber darüber redet kaum noch jemand. Um so lieber darüber, ob manche Fußballfans gleicher sind als andere.

In Hamburg löste man die Frage um das der Stadt zur Verfügung gestellte Ticket-Kontingent höchst hanseatisch. Die Sportsenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) bot in einem Brief exklusiv 2030 Eintrittskarten an 121 Bürgerschaftsabgeordnete und „Prominente“ an. Nicht nur für die WM-Spiele in Hamburg, sondern auch für Finale und Halbfinale gibt es bis zu zwei Tickets zum Preis zwischen 63 und 610 Euro. Der angeschriebene Redaktionsleiter der taz Hamburg lehnte dankend ab, die oppositionelle SPD stellte umgehend eine parlamentarische Anfrage an den CDU-Senat.

Die WM-Stadt Hannover ging noch etwas elitärer vor und bot ihren 64 Ratsmitgliedern je zwei Tickets für jedes der fünf Spiele in der AWD-Arena an. Das wären sogar bis zu zehn Tickets zu Preisen zwischen 47 und 126 Euro an einzelne Lokalpolitiker, insgesamt fast ein Drittel des 2.000 Karten umfassenden Hannoveraner Kontingents. Und wenn Räte, Sponsoren und direkte WM-Mitarbeiter nicht genug geordert haben, können auch noch städtische Mitarbeiter am Vorzugsverkauf teilnehmen.

Selbst bis zum Organisations-Komitee (OK) sind die Querelen inzwischen gedrungen. „Wir geben den Städten, Verbänden und Clubs jeweils zwischen 1.500 und 3.000 Kaufkarten und überlassen ihnen auf ihren Ebenen die Verteilung“, sagte OK-Sprecher Jens Grittner. Skandal? Die grüne Sportexpertin Ingrid Wagemann hat abseits des Trubels eine recht gesunde Einstellung zum Thema gefunden. „Natürlich“ brauche „die Stadt als Ausrichter der WM in Hannover ein Kontingent an Karten für Präsentationszwecke und für ein gutes Hannover-Marketing“, betonte Wagemann. Dennoch forderte sie, dem Hickhack ein Ende zu machen und das Bestellverfahren vorläufig zu stoppen. Das Thema wird demnächst im Sportausschuss der Stadt neu verhandelt.

Während der Norden bei den Sonderkontingenten offensichtlich patzt, beansprucht die Stuttgarter Stadtverwaltung nur 30 Karten für sich, der Rest soll an Sponsoren gehen. In Leipzig wurde das Problem am besten gelöst: Die Stadt ernannte eigens einen Ombudsmann, den ehemaligen Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, der auf eine möglichst gerechte Verteilung der Eintrittskarten achten soll. Immerhin 1.300 der insgesamt 2.530 Tickets sollen in der Messestadt an ehrenamtliche Mitarbeiter aus dem Sport-, Kultur- und Jugendbereich verkauft werden, 450 an Politik, Verwaltung und Gäste und 750 an WM-Helfer.