Divergierende Divenmusik: Neues von Max Raabe und Antye Greie

Wären sie ein Paar, dann wären sie schon ein ausgenommen komisches: die Antye und der Max, die Greie und der Raabe. Die eine das dunkle Haar versteckt unterm Kapuzenpulli, Techno-Beats am Computer dekonstruierend, der andere die blonden Haare zurückpomadiert, im Smoking die Zwanziger- und Dreißigerjahre wieder heraufbeschwörend. Andererseits: Irgendwie passen sie dann doch auch wieder prima zusammen. Eine Diva ist er ebenso wie sie. Und ihrer Musik, so verschieden sie auch sein mag, ist etwas Affektiertes, Künstliches eigen.

Dabei tritt Max Raabe diesmal ohne sein Palastorchester auf den Plan. In „Übers Meer“ interpretiert er Lieder von Fritz Rotter, Ernst Neubach, Walter Jurmann, Austin Egen, Robert Gilbert, Max Hansen und vielen anderen. Die meisten davon unbekannt, das berühmteste noch „Ein Lied geht um die Welt“. Gemeinsam ist diesen Stücken, dass sie erstens vom Weggehen, Verreisen oder zumindest von der Sehnsucht handeln. Und zweitens, dass die Komponisten und Texter als Juden emigrieren mussten, fliehen vor den Nazis „übers Meer“. So fängt Raabe, nur begleitet am Klavier von seinem Dauerpianisten Christoph Israel, die verzweifelte, leicht hysterische, aber jederzeit vergnügungswillige Stimmung der zu Ende gehenden Weimarer Republik ein. Und da er nicht gegen ein komplettes Orchester ansingen muss, übernehmen die Manierismen nicht vollständig seinen Vortrag, der sonst allzu oft in die Karikatur kippt.

Das ist auch eine Gefahr, die Antye Greie stets droht. Ob mit Laub oder als AGF – so wie sie Töne und Wörter zerreißt, zerfetzt, demoliert und dann wieder notdürftig zusammensetzt, besteht stets das Risiko, am eigenen Kunstwillen zu ersticken. Ein Risiko, das auch über „Einzelkämpfer“, ihrem sechsten im Alleingang aufgenommenen Album, jederzeit schwebt. Wieder sind die Texte mal deutsch, mal englisch, aber immer kryptisch bis verschwurbelt, zerlegt und zerschnitten, aber von großer, wenn auch ungewöhnlich sperriger und verletzlicher Schönheit. Beats, die den Takt nicht halten können oder sich gleich ganz verabschieden. Geräusche, Hallräume, verschattete Ideen. Immer wieder müde Erinnerungen an einen Abend im Club, aber auch Ahnungen von Kerzenschein, Romantik, natürlich Kitsch.

Nein, Eingängigkeit ist nicht die Absicht der Lebensgefährtin von Vladislav Delay. Stattdessen: das Spannungsfeld zwischen Empfindsamkeit und Entmenschung. Und nicht zu vergessen: Versöhnung zwischen Mensch und Maschine. Im Track „Practicing Beat Anarchy“ deklamiert Greie: „Beat – Anarchie, Beat – Anarchie, Beat – Tyrann – Beat – run, Beat – Wahrheit.“

Das klingt nicht nur anstrengend, das ist es mitunter auch. Denn immer sucht man in ihrer Musik vergeblich nach einem simplen Gefühl. Sie bietet dem Hörer keine vertrauten Gesten, Klänge oder Strukturen an, auf die er sich beruhigt zurückziehen könnte. Dort, in diesem Punkt ist Antye Greie dann das genaue Gegenteil von Max Raabe. Ansonsten aber haben sie wohl mehr gemeinsam, als sie selbst glauben. THOMAS WINKLER

■ Max Raabe: „Übers Meer“ (Decca/ Universal)

■ Antye Greie aka AGF: „Einzelkämpfer“ (AGF Producktion/ MDM)