Rechte pöbeln bei Holocaust-Gedenkfeier

ZOSSEN Rund 25 Neonazis stören Gedenkveranstaltung in der Kleinstadt, deren „Haus der Demokratie“ voriges Wochenende abgebrannt ist. Ob Rechte das Feuer auch gelegt haben, ist weiter unklar

Eine Frauenstimme schallt über den Marktplatz, neben ihr flackern Kerzen: „Lesser Weinberg. Geboren im März 1872. Textilhändler in Zossen. Jude.“ Kurze Pause. „Deportiert im Februar 1942 nach Theresienstadt. Ein Jahr später im KZ ermordet.“

Die Frau am Mikrofon tritt zurück, ein Mann spricht nun. Auch er verliest Kurzbiografien von Menschen, die früher in seiner Stadt gelebt haben und die den Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Gut 150 Menschen stehen am Mittwochabend um die RednerInnen am Zossener Rathaus. Sie schweigen. Und halten Transparente in die Richtung, aus der ununterbrochen Pfiffe und Gegröle herüberschallen. Wie auf einem Internetblog angekündigt, haben sich rund 25 Rechtsradikale zu einem Flashmob eingefunden, um die Gedenkfeier zum Internationalen Holocaust-Gedenktag zu stören. Immer wieder schreit der rechte Mob, der vor allem aus schwarz gekleideten jungen Leuten besteht: „Nieder mit der roten Pest.“ Dass es nicht zu Handgreiflichkeiten kommt, dafür sorgen Polizisten, die sich in zwei Reihen zwischen Gedenkenden und pfeifenden Neonazis gestellt haben.

Knapp eine Woche nachdem in dem rund 30 Kilometer von Berlin gelegenen Städtchen Zossen aus bislang ungeklärter Ursache das „Haus der Demokratie“ abgebrannt ist (taz berichtete), kennt man nun also ein paar Gesichter der rechten Szene der Region. Es gab mehrere Anschläge und Drohungen gegen Zossener Bürger in der jüngsten Vergangenheit, weshalb auch die Polizei eine Brandstiftung mit rechtem Hintergrund für möglich hält. Konkrete Hinweise gibt es allerdings bislang nicht. Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg (Die Linke) zählt rund 70 Personen zur aktiven Neonazi-Szene rund um Zossen. „Etliche davon sind gewaltbereit“, erklärt der Minister am Rande der Kundgebung. Als er zu der penetrant pöbelnden Gruppe Rechter blickt, schüttelt er den Kopf: „Das ist widerlich. So etwas habe ich noch nicht erlebt bei einer Gedenkveranstaltung.“

Etwas weniger schockiert sind die Mitglieder der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“. Für sie ist erfreulich, dass es die Polizei schafft, den rechten Flashmob auf Abstand zu halten. Dass die Lautstärke der Boxen, aus denen die Namen der KZ-Opfer zu hören sind, den Lärm der Rechten bei weitem übertrifft, erleichtert viele. „Letztes Jahr sind die Nazis bei so einer Veranstaltung noch zwischen uns gestanden und haben plötzlich angefangen, Lieder aus der Hitler-Jugend zu singen“, erzählt Jörg Wanke, Sprecher der Bürgerinitiative, auf deren Engagement das abgebrannte „Haus der Demokratie“ zurückgeht. Ausdrücklich lobt Wanke, dass die rund 40-köpfige Gruppe aus Antifa-Aktivisten der Bitte der Initiative nachkommt, sich ruhig an der Gedenkfeier zu beteiligen.

Dass Zossen ein Problem mit Radikalen hat, zeigen die hasserfüllten Gesichter der jungen Faschisten. Einigkeit unter den Demokraten der Stadt herrscht deshalb aber noch lange nicht. Ein Stromkabel, das über den Marktplatz verlegt ist, beweist das ganz gut. „Die Bürgermeisterin wollte nicht, dass wir Strom aus dem Rathaus nehmen. Zum Glück ist die Kirche eingesprungen“, erklärt Wanke. Die Bürgerinitiative sei der Rathauschefin Michaela Schreiber „zu links“. Deshalb stand sie an diesem Abend wohl auch nicht frierend auf dem Marktplatz, sondern nahm an einer kommunalen Ausschusssitzung teil. BERND SKISCHALLY