Hypnotisiert von der Schlange

Sind 150.000 Monet-BesucherInnen ein Erfolg oder 150.000 zu wenig? Das Diktat des Publikums-Wachstums setzt die Bremer Museumslandschaft unter Druck. Zum „Gold aus dem Kreml“ kamen nämlich 330.000 und zu van Gogh 320.000

Bremen taz ■ Man muss es nicht gleich mit Thomas Deecke halten, um die derzeit geführte Diskussion um „Besucherschwund“ in Bremer Museen für ziemlich einäugig zu halten. Der gerade pensionierte Direktor des Museums Neue Weserburg, ein Mann der Offensive, hatte immer mal wieder erklärt: „So wichtig ist das Publikum auch wieder nicht“ – was sich durchaus in der Besucher-Bilanz des Hauses für zeitgenössische Kunst niederschlug. Nun aber sind auch traditionelle Klassenausflugs-Ziele und Publikumsmagneten wie das Übersee-Museum in negative Schlagzeilen geraten: Seit Ende der achtziger Jahre sinke dessen Besucherzahl kontinuierlich.

2005 hatte das Haus mit etwas über 120.000 verkauften Tickets in der Tat einen Tiefstand zu verkraften. Der allerdings ist leicht begründbar: 2.000 Quadratmeter der Ausstellungsfläche befinden sich derzeit im Umbau. „Andere Museen schließen bei derartig umfangreichen Arbeiten komplett“, sagt Geschäftsführer Stephan Pleyn. Die nun öffentlich reklamierten „positiven Zahlen“ der Vergangenheit – 1989 kamen 330.000 Menschen in‘s Übersee – verweisen bei näherem Hinsehen auf ein veritables Museums-Desaster: Auf die Sonderschau „Gold aus dem Kreml“, mit der Bremen damals in die Liga der Großevent-Veranstalter einsteigen wollte. Sie zog zwar Massen an, endete aber mit einem Defizit von 1,3 Millionen Mark und dem späteren Rücktritt des Direktors.

Mittlerweile sind Sonderschauen überall zum entscheidenden Faktor der Publikumsjahresbilanz der Museen geworden. Die aber haben, wie das Focke-Museum, dafür meist gar keine eigenen Töpfe. Das Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte ist diesbezüglich zu 100 Prozent auf Drittmittel angewiesen, wobei wiederum der Bremer Marketing Gesellschaft (BMG) eine Schlüsselfunktion zukommt: Die BMG vergibt sowohl direkte Fördergelder als auch die für den Erfolg unerlässlichen Marketing-Mittel.

Da die BMG ihrerseits von den sich immer weiter verzögernden Haushaltsbewilligungen der öffentlichen Hand abhängig ist, schmilzt die Planungssicherheit der Museen dahin. Die kurz vor der Eröffnung stehende „Herculaneum“-Schau des Focke-Museums etwa, obwohl seit vier Jahren vorbereitet und beantragt, erhielt erst 2005 eine Mittelzusage. Dass die Planung nicht schon zuvor abgebrochen werden musste, war nur durch eine Ausfallbürgschaft des Museums-Freundeskreises möglich.

Die extreme Abhängigkeit der Statistik vom fragilen Phänomen der Sonderschau zeigt das Beispiel des Paula Modersohn-Becker Museums. Dessen große Gaudí-Schau brachte 2003 gut 32.000 BesucherInnen in‘s Haus – fast so viele, wie sonst in einem kompletten Jahr zu erwarten sind. Im vergangenen Jahr etwa kamen rund 36.000 Interessierte, was im Vergleich zu der Gaudí-gestärkten Vorjahreszahl (56.000) schlecht aussieht. Dabei bewegt sich die Besucher-Marge im PMBM seit Jahren um die 40.000. Gaudí-artiges lasse sich jedoch nicht jedes Jahr machen, wie PMBM-Sprecherin Uta Schlott erklärt. Zumal ein inhaltlich gut vorbereitetes Projekt – das Haus hat dafür zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und eine Volontärin – entsprechenden Vorlauf brauche. Für die derzeitige Mataré/Beuys-Schau, die in Kooperation mit dem Gerhard-Marcks-Haus gezeigt wird, seien die Vorbereitungen noch wesentlich aufwändiger gewesen, sagt Schlott, trotzdem könne „nur“ mit 10.000 BesucherInnen gerechnet werden. Über Beuys und Mataré gibt es eben keine Musicals – auch solche Faktoren lenken die Besucherströme.

Die gut gemachte Gaudí-Ausstellung konnte in Zusammenhang mit dem „hauseigenen“ Bildhauer-Architekten Bernhard Hoetger gestellt werden. Sehr oft aber drängt sich die Frage auf, ob eingekaufte Sonderschauen, die mit dem Profil des Hauses möglicherweise wenig zu tun haben, der museumspolitischen Weisheit letzter Schluss sind. Die Kunsthalle ist hier bisher konzeptionell beispielhaft vorgegangen. Sie nimmt zentrale Werke des eigenen Bestands zum Ausgangspunkt thematisch beziehungsreicher Schauen, wie bei der van Gogh/Kunststreit-Ausstellung oder jetzt der Monet/Frauenporträts-im-Impressionismus-Schau. Hier allerdings erweist sich der Erfolg selbst als maßstabverzerrendes Problem: Weil van Gogh vor zwei Jahren 320.000 BesucherInnen anzog, wird von Monet Ähnliches erwartet. Zumal sich das Bild von langen Zuschauerschlangen in den Köpfen festgesetzt hat. Bei Monet jedoch, der nicht den selben „Pop-Faktor“ wie der „verrückte“ van Gogh hat, sind „lediglich“ 150.000 eingeplant – und schon ist die latente Enttäuschung in der Stadt allgegenwärtig.

Zurück zur Statistik: Das Focke-Museum hatte 2005 genau 92.286 BesucherInnen. Im Vorjahr – ohne die beliebte „Lego“-Schau – nur 58.431. Für 2006 wiederum rechnet Direktor Jörn Christiansen mit 170.000 – weil allein „Herculaneum“ voraussichtlich 100.000 Menschen anziehen werde. Lediglich ein Drittel der Besucher des Hauses kämen allein wegen der Dauerausstellung – für die nämlich gebe es überhaupt keine Marketing-Mittel. Fast beiläufig verweist Christiansen noch auf den dem Zeigen vorausgehenden klassischen Arbeitsauftrag der Museen: Sammeln, Forschen, Bewahren.

Künftig wird es für die Einrichtungen noch schwieriger sein, der Sonderschau-Fixierung zu entsprechen: Die Ausstellungsmittel der BMG wurden zum Jahresbeginn um 30 Prozent gekürzt. Henning Bleyl