berliner szenen Unser Dorf wird schöner

Die Alukugel

Ich schwöre, ich bin nicht aufgefallen. Meine Jeans waren blau und saßen nicht gut. Meine Jacke hing rechts herab, ein Knopf fehlte. Von Frisur konnte keine Rede sein. Kurz, ich glaubte an diesem Wintertag auf dem Hermannplatz nicht aufzufallen. Ich schritt munter aus dem U-Bahn-Eingang hinaus in ein trübes Licht. Es war nicht allzu kalt, ein paar Leute saßen auf den Bänken, die an den Rändern der übergroßen Verkehrsinsel, die der Hermannplatz ist, aufgestellt waren, und redeten wenig. Einige waren gewiss Alkoholiker, andere waren Neuköllner Kids. Sie trugen ähnliche Kleidung wie ich, nur dass ihre Jeans und Parka nicht zerschlissen waren, sondern mit Verschleißspuren bedruckt und eben erst bei Woolworth oder H & M gekauft. Sie waren auf korrekte Weise zerschlissen.

Doch ich dachte mir nichts. Gelassen schlenderte ich den Platz entlang und schnickte die zu einer Kugel gerollte Alufolie, in der eben noch ein Brötchen gewesen war, in die Abfalltonne. Doch selbstverständlich setzte die Kugel am Tonnenrand auf, kippte zurück und fiel auf den Boden. Egal, dachte ich, mein Berlin muss eh nicht sauber sein. Da aber erscholl jenes „Ey!“, das mehr gebellt als gerufen wird und mit dem Jugendliche in Neukölln die Leute begrüßen, die sie hassen wollen. Ich drehte mich selbstredend nicht um. Auch auf das nachgeschobene „Alter!“ reagierte ich nicht. „Ey“, kam wieder von hinten, „ey, Arschloch, heb das auf! Heb das sofort auf!“ Ich schritt weiter, jedoch etwas gebeugt. „Ey“, rief es weiter hinter mir her, „Arschloch, geh doch zurück in dein Scheiß Kreuzberg! Sau doch da rum! Das hier ist Neukölln, Alter, ja! Sauber, verstehst du?“ Ich war jetzt arg gebeugt. Der da rief, hatte Recht. Ich gehörte eben nicht hierher.

JÖRG SUNDERMEIER