noralzeit
: HELMUT HÖGE über Tatmenschen

„… die sich gegen die Autopoiesis der Systeme und Medien stemmen“ (Kurt Vonnegut)

„Wölfe an der Oder, Adler in den Müggelbergen. Ein Winter in der Besatzungszeit! Der Magistrat verschanzte sich hinter die Besatzungsmächte, diese hinter die Elemente, diese vermutlich hinter das Hochland von Tibet, dies hinter irgendeinen Dalai Lama und so fort – und darüber ging alles zugrunde, die Geschäfte schliefen ein, das Geld verschwand, Steuern wurden nicht mehr gezahlt, das Leben stockte. […] Die Leichen der Erfrorenen und derer, die sich selbst erledigt hatten, lagen auf den Trottoirs und die Vorübergehenden fanden das natürlich – Zahnschmerzen, eine entzündete Pulpa hätte sie vielleicht noch in Bewegung gebracht, aber Buckel im Schnee – das konnten auch Ratten oder Keilkissen sein.“

So beginnt die „Berliner Novelle – 1947“ von Gottfried Benn. Zwar gilt auch heute wieder das „Shrinking Cities – starke Wölfe“-Gesetz (an der Oder). Aber die „Keilkissen“ sehen jetzt zum Beispiel so aus, das uns und den MdB Ströbele ein dickes Dossier erreicht – von dem Dresdner Grafiker Peter Tresnak – mit einer Bemerkung der Spiegel-Redaktion vorneweg: „Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass Ihre [Stasi-]Akte gezielt selektiert wurde [in der Gauck-Behörde], um etwas zu vertuschen, wäre das sicher ein Fall für den Spiegel. Aber nur dann!“

Der in der ČSSR mit einer Tschechin verheiratete Tresnak war 1984 auf dem Weg zur Prager BRD-Botschaft verhaftet worden, wo er eine Übersiedlung in die Bundesrepublik erwirken wollte. Daraufhin hatten ihn erst die ČSSR-Staatsschützer „brutal misshandelt“, und dann, nach seiner Abschiebung, auch noch die der DDR. Wobei Letztere ihn schon damals ständig woandershin verfrachteten, um ihn zu verhören – natürlich auf viel kleinerem Territorium als die Amerikaner jetzt.

1986 gelingt es Tresnak und seiner Frau, „die deutsche Botschaft zu besetzen“. Aber der dortige Konsul lockt sie mit dem Versprechen, sie zum Flughafen zu fahren, damit sie von dort aus in die BRD ausfliegen können, auf die Straße. Mit der Folge, dass Tresnak wieder erst in der ČSSR und dann in der DDR „bei Wasser und Hartbrot und täglichen Schlägen“ eingekerkert wurde.

Im April 1987 sah er seine Familie endlich in Gießen wieder. Nun verlangt er von der Regierung eine „Entschädigung“. Das Auswärtige Amt teilte ihm schon mal vorsorglich mit, dass sich die Botschaft in Prag 1986 „angemessen und rechtmäßig verhalten“ habe. Tresnak beklagt, dass in seiner Gauck-Akte 85 von 629 Seiten fehlen. Er ist sich sicher: „Hier wird vertuscht wegen unserer Schadensersatzansprüche.“

Ein eher dünnes Dossier, dafür mit einer Unterschriftenliste, kommt aus dem Tegeler Knast. Ein dort einsitzender K. Merei berichtet über eine Meuterei in der JVA am 8. November: Die Springer’sche Morgenpost veröffentlichte darüber einen Artikel und erwähnte darin auch, dass ein Gefangener von Beamten geschlagen wurde. Sie fügte dann jedoch hinzu, „das der Gefangene diese Geschichte frei erfunden hat“. K. Merei hat nun die Mitgefangenen auf der selben Station, die Augenzeugen der vorsätzlichen Verletzung eines Gefangenen waren, zu einer gemeinsamen „Erklärung“ veranlassen können. Sie verlangen die Absetzung der Prügel-Beamten.

Ein ganz dickes „Dossier“ verschickten Dr. Echter Gerlach und seine Frau, gegen die man „mit einer Psychiatrischen Einweisung“ vorgehen will. Auch ihr Mann fühlt sich hier „verfolgt, bedroht, mit Mord bedroht … Meine Peiniger schicken Todesbriefe zu meiner ‚kommenden tatsächlichen Tötung‘ an die Gerichte, und die deutschen Gerichte leiten diese kommentarlos an mich weiter.“ („kommentarlos“ ist unterstrichen).

Das Ehepaar hat sich schon an alle möglichen Regierungsstellen gewandt – vergeblich. Jetzt wollen sie nur noch „unter absoluter Dringlichkeit“ Israel um „politisches Asyl“ bitten. Und die „internationale Presse“ soll das unterstützen. Gesagt, getan!