ULRICH SCHULTE ÜBER DEN PARTEITAG DER GRÜNEN
: Einfach nur vernünftig

Faulheit kann man diesen Grünen wirklich nicht vorwerfen: 2.600 Änderungsanträge fürs Wahlprogramm, telefonbuchdicke Papierstapel, Diskussionen bis in die Nacht. Die Ernsthaftigkeit ist angenehm.

Aber streiten sie auch? Nein, über große Fragen streiten die Grünen nicht mehr. Die Partei weicht nur Millimeter vom soliden und gegenfinanzierten Kurs ab, den frühere Parteitage beschlossen haben. Das Angebot an die Wähler ist durch und durch vernünftig: Sie werben für die Energiewende, für Mindestlohn, für bessere Schulen und vieles mehr. Um das zu finanzieren, muten sie Besserverdienenden moderate Steuererhöhungen zu. Diesen Grünen würde man sofort alle Kontoauszüge kopieren, damit sie die Steuererklärung machen.

Nun sind Fleiß, Vernunft und finanzielle Solidität kein schlechtes Motiv, wenn irgendwie noch Eurokrise ist. Doch was nervt, ist, wie die Grünen ihre Attitüde sympathischer Streitlust vor sich hertragen. In den 2.600 Anträgen verbirgt sich kein echter Streit, was nicht schlimm wäre, wenn die Grünen einfach sagen würden, dass sie alle zufrieden mit dem Wahlprogramm sind. Stattdessen wird Streitlust inszeniert. Dieses Mal führten die Realos absurdes Theater auf. Mehrere Strategen lancierten vorher ihre Anträge zur Finanz- und Steuerpolitik an die Medien, warnten vor Umverteilung zum Schaden der Wirtschaft, erzeugten größtmöglichen Wirbel. Auf dem Parteitag zogen sie gleich reihenweise Anträge zurück und erweckten auch sonst nicht den Eindruck, ernsthaft an Kursänderungen interessiert zu sein. Wohlwissend, dass sie die Abstimmungen eh verlieren würden.

Ein Aufstand also, der von vornherein nichts anderes wollte als ein paar Schlagzeilen. Motzen ohne Inhalt. Um – ausnahmsweise – mal mit Claudia Roth zu sprechen: Das ist grüne Streitkultur at it’s best.

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