Große Koalition von Berlusconis Gnaden

ITALIEN Sozialdemokrat Letta wird Chef einer Koalition mit der Berlusconi-Rechten. Eine Regierung des Aufbruchs sollte es werden, aber aufgebrochen ist erst mal die Einheit der Linken selbst, die zerstritten daherkommt. Berlusconi kann aus dem Off alle Strippen ziehen

■ Zwei Polizisten verletzt: Die Vereidigung der neuen Regierung in Rom wurde gestern von einer Schießerei überschattet. Vor dem Amtssitz des neuen Ministerpräsidenten schoss ein Mann auf Polizisten. Augenzeugen berichteten, der Schütze habe aus fünf Metern Entfernung auf die Carabinieri geschossen. Einer wurde schwer, ein weiterer leicht verletzt. Auch der Schütze erlitt Verletzungen, er wurde festgenommen. Der neue Innenminister Angelino Alfano bezeichnete die Schüsse als „tragischen kriminellen Akt“ eines Arbeitslosen, der sich offenbar habe umbringen wollen. Alfano, Vorsitzender der rechten Partei „Volk der Freiheit“ (PdL) des früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, ist Vizeregierungschef und Innenminister im neuen Kabinett. (afp)

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Italiens neue Regierung steht. Am Sonntag vereidigte Staatspräsident Giorgio Napolitano das Kabinett des neuen Ministerpräsidenten Enrico Letta, und angesichts der breiten Mehrheit der neuen Koalition wird die am Wochenbeginn anstehende Vertrauensabstimmung im Parlament zur puren Formalie.

Der 46-jährige Letta, bisher Vizechef der sozialdemokratischen PD (Demokratische Partei), stützt sich auf ein breites Links-rechts-Bündnis. Es reicht von seiner eigenen Partei über Mario Montis SC (Bürgerliche Entscheidung) im Zentrum bis zu Berlusconis PdL (Volk der Freiheit). Zwei Monate nach den Parlamentswahlen erwies sich diese Formel als die einzige Lösung, mit der sich das politische Patt im in drei Lager gespaltenen Parlament überwinden ließ.

Deutlich ist der Versuch Lettas, ein Zeichen des Aufbruchs zu setzen. Sieben der 21 Minister sind Frauen. Mit 53 Jahren ist das Durchschnittsalter für italienische Verhältnisse niedrig. Mit Cécile Kyenge aus dem Kongo zieht erstmals eine Afrikanerin in eine italienische Regierung ein, als Integrationsministerin.

Doch in der PD verursacht diese Lösung heftige Bauchschmerzen. Unter ihrem letzte Woche zurückgetretenen Vorsitzenden Pierluigi Bersani hatte sie sowohl während des Wahlkampfs als auch während der letzten zwei Monate gebetsmühlenhaft wiederholt, „nie und nimmer“ werde sie mit Berlusconi zusammengehen. Stattdessen strebe sie eine „Regierung des Wechsels“ an, zur Not unter Tolerierung durch die Protestbewegung M5S (5-Sterne-Bewegung) Beppe Grillos, die bei den Wahlen sensationelle 25 Prozent erzielt hatte.

Die linke PD verzichtete bewusst auf die Berufung eigener Parteigrößen

Doch zunächst hatte sich Grillo jedem Kompromiss verweigert, und dann torpedierte die PD selbst bei der Wahl des Staatspräsidenten vor gut einer Woche jedwedes Zusammengehen mit M5S. Mehr als 100 Abweichler aus den eigenen Reihen versenkten den Linkskandidaten Romano Prodi, der als harter Berlusconi-Gegner gilt. Damit blieb nur die Wiederwahl Napolitanos als Ausweg, und Napolitano knüpfte seinerseits seine Bereitschaft zum Weitermachen an die Bedingung, dass die PD sich auf eine große Koalition einlässt.

Eben diese Koalition hat Italien nun, mit einer durchaus respektablen Ministerliste. Emma Bonino als Außenministerin darf ebenso als kompetent gelten wie Finanzminister Fabrizio Saccomanni, bisher Generaldirektor in der Zentralbank, oder Justizministerin Anna Maria Cancellierei, die als harte Mafia-Gegnerin bekannt ist. Die PD, die acht Minister stellt, verzichtete bewusst auf die Berufung eigener Parteigrößen, um das Zeichen einer Generationswende zu setzen und so auch die bekanntesten Protagonisten des Berlusconi-Lagers fernzuhalten.

Wenigstens dieses Ziel hat Letta erreicht. Ansonsten aber triumphiert die Rechte. Berlusconi steht wieder im Mittelpunkt, er wird die Regierungsbeteiligung seiner Partei nutzen, um erneut die gegen ihn laufenden Prozesse zum Stillstand zu bringen. Er hat schon erklärt, seine PdL könne „jederzeit der Regierung den Stecker ziehen“. Seine Rechtsallianz liegt mittlerweile in Umfragen bei 35 Prozent. Grillos M5S bekommt 27 Prozent, die zerrissene PD nur noch gut 20 Prozent.

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