Sorgen, keine Tränen

aus Kairo KARIM EL-GAWHARY

Die Araber weinen ihm keine Träne nach. Der Abgang des israelischen Premierministers Ariel Scharon von der politischen Bühne hat in der arabischen Welt erwartungsgemäß kaum Trauerstimmung ausgelöst. Trotzdem machen sich vor allem die Palästinenser Sorgen, wie es nun weitergeht. Die arabischen Fernsehstationen schalteten mehrmals stündlich zu ihren Korrespondenten vor dem Krankenhaus, in dem Scharon bewusstlos liegt.

„Politisch wird das Ganze die Unsicherheit vergrößern, was die Rückkehr zum Friedensprozess angeht, und diese Unsicherheit wird bis zu den israelischen Wahlen im März andauern“, erklärte Nabil Schaath, der palästinensische Vizepremier. „Es gab minimale Fortschritte, aber Scharon hat nie wirklich an den Friedensprozess geglaubt“, lautet seine Einschätzung. Für PLO-Exekutivkomitee-Mitglied Jasser Abed Rabo war Scharon derjenige, der die palästinensische Selbstverwaltungsbehörde zerstört hat. „Es ist schwer sich vorzustellen, dass wir etwas verlieren, wenn Scharon uns verlässt“, sagte er gegenüber dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira.

Die palästinensischen Hardliner feiern offen das Ende Scharons: „Die gesamte Region wird besser ohne ihn als mit ihm auskommen. Scharon war derjenige, der jahrzehntelang unsere Leute massakriert und terrorisiert hat“, ließ Hamas-Sprecher Munschir al-Masri verlauten. „Lass ihn zur Hölle gehen, ob er lebt oder stirbt“, erklärte der Chef des Islamischen Dschihad Anwar Abu Taha. Andere kleine unbedeutende radikale Gruppen, bezeichneten Scharons Todeskampf gar als „Neujahrsgeschenk“.

Doch das ist das Dilemma der Palästinenser: Wie immer bei Umbrüchen der israelischen Politik, sitzen sie nur auf der Zuschauertribüne, obwohl sie unmittelbar betroffen sind. „Was immer passiert, es wird an den Palästinensern hängen bleiben“, sagt denn auch der palästinensische Unterhändler Saeb Erekat. „Es gab nie einen positiven Friedensprozess unter Scharon. Wir hatten nicht einmal Kontakt zu ihm. Er hat seine Entscheidungen einseitig getroffen. Aber was jetzt kommt, könnte noch schlimmer werden“, fügt er hinzu.

Außerhalb der palästinensischen Gebiete blieb die Reaktion verhalten. Zwei der Nachbarländer Israels, der Libanon und Syrien, dessen Golanhöhen weiterhin israelisch besetzt sind, sind derzeit zu sehr mit ihren eigenen Beziehungen beschäftigt, Folge des Mordes am ehemaligen libanesischen Premiers Rafik al-Hariri, bei dem Syrien der Mittäterschaft bezichtigt wird. Sateh Noureddin, ein Redakteur der libanesischen Tageszeitung As-Safir glaubt denn auch, dass der Abgang Scharons die weitere arabische Welt nicht betreffen wird. „Das ist ein Beben mit Erdstößen, die auf die Israelis und Palästinenser begrenzt bleiben“, meint er.

Für die arabische Seite gilt: Scharon war trotz seines negativen Images berechenbar. Seine Pläne waren bekannt. Er scherte sich nicht um eine mühevoll ausgehandelte Roadmap und den Friedensprozess, sondern fuhr unbeirrt seinen eigenen Kurs, zog einseitig aus dem Gaza-Streifen ab, der der israelischen Seite schon seit Jahrzehnten Kopfzerbrechen bereitete. Die haben jetzt die Ägypter. Die palästinensischen Behörden verlieren zunehmend die Kontrolle über den Gaza-Streifen (siehe Foto).

Mit dem Abzug aus Gaza verstärkte Scharon die israelische Präsenz im Westjordanland und machte sie zu einer unumkehrbaren Tatsache, stets ohne mit den Palästinensern zu verhandeln, aber in Abstimmung mit Washington. Am Ende hatte er verkündet, einen Teil des besetzten Westjordanlands aufzugeben, dafür aber die dortigen israelischen Siedlungsblöcke als einen Teil Israels zusammenzuschließen. Die Palästinenser warfen ihm daraufhin vor, die Bedingungen für ein Ende des Konflikts diktieren zu wollen und ihnen nur noch das Fragment eines möglichen Staatsgebiets zu überlassen. In alldem blieb Scharon ein kalkulierbarer Hardliner. Was nach seinem Ausscheiden aus der Politik bleibt, ist die Angst der Palästinenser davor, wie es mit ihnen weitergeht.