Blasphemie mit Gummihuhn

PUNK CABARET An dieser Band ist beinahe alles bizarr: Ihre Geschichten, ihre Musik, ihr Make-up. Heute Abend spielen die Tiger Lillies noch einmal in der Schwankhalle

VON ANDREAS SCHNELL

Es scheint geradezu ein kleiner Trend zu sein: Bands wie die Dresden Dolls oder die World/Inferno Friendship Society bezogen sich in den letzten Jahren explizit auf das Kabarett der Weimarer Zeit: libertär, anarchistisch, düster. Jüngere Künstler wie Vermillion Lies aus Oakland knüpften gleichfalls an die Epoche an. Vielleicht hängt gar die anscheinend ungebrochen wachsende Verehrung für Tom Waits ursächlich damit zusammen. Und auch die 1989 gegründeten Tiger Lillies, die am Mittwochabend zum ersten Mal seit beinahe zehn Jahren wieder in Bremen gastierten und am heutigen Samstagabend noch einmal in der Schwankhalle zu erleben sind, tun auf ihre Weise etwas ganz Ähnliches. Vor kurzem erschien denn auch bei Volvox Records eine Zusammenstellung namens „Welcome To The Twisted Cabaret“, auf der neben den Dresden Dolls und deren Ableger Evelyn Evelyn auch die Tiger Lillies vertreten sind.

Diese eröffnen die Zusammenstellung mit den Worten: „I like burning houses down, and factories at well“, und sind der möglicherweise grellste Beitrag. Im Zentrum ihrer Musik zwischen Polka, Blues und Walzer, gelegentlich punkig angerüpelt, steht zumindest vordergründig der Falsett-Gesang von Martyn Jacques, der sich selbst auf Akkordeon, Klavier und Ukulele begleitet. In Szene gesetzt wird seine markante Stimme, die sich immer wieder dramatisch in die Höhe schraubt, von dem Multiinstrumentalisten Adrian Stout und Schlagzeuger Adrian Huge. Stout brilliert in stoischem Buster-Keaton-Gestus an Bass, singender Säge, Theremin und Gitarre – und erwies sich am Mittwochabend auch als textfest, als Jacques ein paar Mal die Worte fehlten. Huge gibt eher den britischen Kauz und ist nicht nur seines Miniaturschlagzeugs wegen, an dem zwei Gummihühner im Takt erzittern, der Komödiant des Trios. Diese Stilisierung erhält ihre Krone durch das groteske Clowns-Make-up, das Martyn Jacques seit neuerem trägt.

Was die Tiger Lillies von anderen Musikern mit ähnlichem Ansatz unterscheidet, ist aber nur zum Teil die Camouflage, nur zum Teil die bisweilen schrille (auch musikalische) Inszenierung. Einen ganz entscheidenden Beitrag zum Reiz der Band tragen die Texte bei, in denen weder vor Blasphemie, Mysogynie noch vor expliziter Erwähnung verschiedener Körperflüssigkeiten zurückgeschreckt wird. Das wäre an und für sich vielleicht ganz ulkig, wird aber hier noch interessant durch die Abwesenheit jeglicher Moral.

Und dann ist da noch ein Umstand, der zur Wirkung der Tiger Lillies seinen Teil beiträgt: der beinahe völlige Verzicht auf Ansagen, Erklärungen, Anbiederungsfloskeln. So schaffen die Tiger Lillies eine Distanz, die sie in Kunstfiguren aufgehen lässt. Vor diesem Hintergrund wirken die Balladen, die Martyn Jacques immer wieder einfließen lässt, geradezu verstörend. Hier verzichtet er auf Schockeffekte, lässt seine beeindruckende Stimme in düsterer Schönheit erstrahlen, ganz besonders ergreifend in dem Standard „My Funny Valentine“.

Das Publikum, das am Mittwochabend dem ersten der drei Bremer Konzerte der Band beiwohnte, war verzückt und klatschte die Band für eine Reihe von Zugaben auf die Bühne zurück. Dafür wurde es mit einem Wunschkonzert belohnt, das ein Wiederhören mit Hits wie „Swine“ und „Killer“ bescherte. Heute Abend gibt es noch einmal die Gelegenheit, das eigenwillige Trio zu erleben.

■ heute, Samstag, 20 Uhr. Schwankhalle