Schmarotzer beseitigen!

Der Spion, der aus der sozialen Kälte kam: Unterwegs mit einem Hartz-IV-Agenten

„Ein Lächeln kostet nichts, aber eine Kugel ist auch nicht allzu teuer“

Einsatz im Hasenbergl, einem sozialen Brennpunkt im Münchner Norden. Ein Wohnblock mit abgeblätterter Fassade, tristesse sociale unter weiß-blauem Bilderbuchhimmel. Horst Herrlichs erster Fall an diesem Tag: Bei der arbeitslosen Marion P. wird eine eheähnliche Gemeinschaft vermutet. Hartz-IV-Agent Herrlich soll prüfen, wie bedürftig die Bezieherin von Arbeitslosengeld II wirklich ist. Wie immer kommt er unangemeldet.

Die 29-jährige Mutter von vier Kindern gibt an, sich von ihrem Freund getrennt zu haben, doch sie wohnen noch gemeinsam. Auch der Freund ist arbeitslos. Mit einer Bierflasche in der Hand sitzt er auf dem Sofa und sieht fern. Nun müssen die beiden glaubhaft machen, dass sie sich getrennt haben. Ob getrennte Schränke oder getrennte Betten, alles wird überprüft. Alles scheint in Ordnung zu sein, doch im Bad fliegt die geschickte Tarnung schließlich auf: Als Herrlich sechs Zahnbürsten einträchtig nebeneinander in einem Zahnputzbecher entdeckt, zucken seine kantigen Züge nur ein wenig. Für ihn ist der Fall klar: Die beiden sind immer noch ein Paar. Das heißt, einer muss ausziehen. Oder Marion P. droht eine Kürzung der Bezüge um bis zu 200 Euro. Zwei-Meter-Mann Herrlich weiß, hier wird er keine Freunde fürs Leben finden, also eröffnet er ihnen ohne Umschweife die Alternative. Als der Mann pampig wird, führt er ihn im Polizeigriff ab. Vielleicht kann er sich in der Einzelzelle des Arbeitsagentur-Sondergefängnisses leichter entscheiden. Horst Herrlichs Fazit: „Was die beiden angegeben haben, ist völlig unglaubwürdig. Ich hatte gleich den Eindruck, dass die beiden hier eine Riesenshow abziehen.“

Hartz-IV-Agent Horst Herrlich ist ein sehr ungebetener Gast, vor allem für Leute, die vermögender sind, als sie angeben. Von ihm hängt es ab, ob Antragsteller das Arbeitslosengeld II bekommen oder nicht. Das sind die leichten Fälle. Bei den gewieften Tricksern kann der 38-Jährige mit den stoppelkurzen blonden Haaren, unter dessen T-Shirt sich ansehnliche Muskelpakete verbergen, ziemlich ungemütlich werden.

Seit Januar 2005 macht Horst Herrlich Jagd auf diejenigen, die sich zu Unrecht staatliche Leistungen erschlichen haben. Aber als Schnüffler sieht er sich nicht, eher als Kämpfer für Recht und Ordnung – „und gegen Sozialschmarotzer“, sagt er. Sein oberstes Gebot heißt: Ein Lächeln kostet nichts, aber eine Kugel ist auch nicht allzu teuer. Seine Walther P 99, Kaliber neun Millimeter Para, hat er bei seinen Einsätzen jedenfalls immer dabei.

Mehr als zehn Jahre diente Herrlich bei der Bundeswehr. Stationierung in Brannenburg, Ausbildung als Fallschirmspringer und Kampfschwimmer, Einsatz im Kosovo. Für Herrlich war die Bundeswehr eine zweite Heimat, eine Art Familienersatz. Dann sei er plötzlich eines Tages für seine Vorgesetzten zu alt gewesen – für diese „Staubfänger von der Hardthöhe“, wie sie Herrlich verächtlich nennt. 2005 heuerte er als Hartz-IV-Agent an. Der durchtrainierte Waffennarr war der ideale Kandidat für die Eliteeinheit der Arbeitsagentur.

Die „Ledernacken“, wie sie intern genannt werden, spüren Zuvielbezieher auf, enttarnen unangemeldete Bedarfsgemeinschaften und decken schonungslos Missbrauchsfälle auf. Sie sind überall präsent an den „Hotspots“ der Bundesrepublik – Hartz-IV sorgt zumindest in der Sicherheitsbranche für Hochkonjunktur.

Überprüfung bei der nächsten Familie. Irgendein ausländischer Name. Horst Herrlich prüft, wie viele Personen in der Wohnung leben. Es sollen neun sein, obwohl nur vier gemeldet sind. Sollte sich der Verdacht erhärten und sollten Erwerbstätige hier wohnen, dann wird die Unterstützung gekürzt. Doch in diesem Falle haben sich die Gesuchten wieder rechtzeitig in den Kosovo abgesetzt. Damit hat sich das geklärt.

Doch nicht immer geht die Suche nach ALG-Betrügern so glimpflich für die Betroffenen aus wie bei diesem Fall. Einen der raffiniertesten ALG-Erschleicher konnte Horst Herrlich erst nach monatelanger Jagd zur Strecke bringen. Und das auch nur, weil „Tegernsee-Rolf“, wie der Meister-Abzocker von der Boulevardpresse genannt wurde, sich in seinem oberbayerischen Luxusdomizil allzu sicher wähnte. Immer wieder war er Herrlich entwischt, immer wieder heftete der sich an seine Fersen. Zuletzt versuchte Tegernsee-Rolf mit dem Ausflugsdampfer zu entkommen. Als Herrlich auch diese Finte durchschaute und ihn auf dem Zwischendeck stellte, wagte das Abkassier-Genie einen beherzten Sprung ins eiskalte Wasser. Doch da hatte er die Rechnung ohne Horst Herrlich gemacht. Mit einem finalen Fangschuss konnte der ALG-Agent den Fluchtversuch stoppen. „Dass der Gesuchte anschließend ertrank, das hatte ich natürlich nicht auf der Rechnung“, meint Horst Herrlich heute nachdenklich zu seinem wohl spektakulärsten Fall.

Trotz dieses tragischen Ausgangs hat Horst Herrlich ein reines Gewissen: „Im Grunde genommen sollen die Hartz-IV-Agenten ja auch in beide Richtungen arbeiten, einmal den Missbrauch aufdecken, aber notfalls – wenn es gar nicht anders geht – auch mal einen Sozialschmarotzer beseitigen. Wenn das eine gesunde Mischung ist, kann man zufrieden sein.“ Mit seinem Sturmfeuerzeug zündet er sich eine Zigarette an und verabschiedet sich. Der nächste Fall wartet auf ihn. RÜDIGER KIND