Erwacht für einen Sommer

COMEBACK Das alte Kino in Hamburg-Wilhelmsburg wird am 3. Mai als nicht-kommerzielles Projekt wiedereröffnet. Im Herbst ist wieder Schluss

Die alte Leuchtreklame ist noch heil. Ansonsten waren die „Lichtspiele“ im Reiherstiegviertel in Hamburg-Wilhelmsburg eine Bruchbude, die als Lagerraum genutzt wurde. Vor 100 Jahren wurde es als Theater erbaut, ab 1921 als Kino genutzt und Mitte der 1980er-Jahre wie viele Stadtteilkinos geschlossen. Seitdem rottete das Gebäude vor sich hin bis Stephan Reifenrath auf die Idee kam, es soweit zu renovieren, dass es zumindest ein paar Monate lang wieder als Veranstaltungsort betrieben werden kann.

Reifenrath kaufte den Flachbau und überzeugte 60 Freiwillige davon, in fünf Monaten ehrenamtlicher Arbeit das Kino wieder herzurichten. Die nassen Wände wurden mit Trockengebläsen bearbeitet, aus dem auch schon lange geschlossenen City-Kino wurden 300 Stühle gespendet, Dach, Leinwand, Toiletten und Boden mussten neu eingebaut werden. Nach wie vor werden Sponsoren gesucht, um das Gebäude wieder einigermaßen in Stand zu setzen. Bleiben soll der Gesamteindruck eines Kinos aus den 70er-Jahren, das wie mit einer Zeitmaschine ins Heute verpflanzt wurde.

Dass Reifenrath vor ein paar Jahren noch im noblen Eppendorf gewohnt und dort einen Laden für teure Hi-Fi-Anlagen betrieben hat, macht ihn einigen Wilhelmsburgern verdächtig. Sie sehen seine Initiative als Teil der Gentrifizierung des Viertels: In einer Stadtteilzeitung wird die „mangelnde Nachhaltigkeit“ des Projekts bemängelt.

Wilhelmsburg wird in den nächsten Monaten als Standort der Internationalen Gartenschau und der Internationalen Bauausstellung von Besuchern überschwemmt werden und natürlich dürften viele davon auch einen Besuch im Kino einplanen. Entsprechend wird dort kein normaler Kinobetrieb, sondern ein Programm mit Konzerten, Filmen, Lesungen und Theater stattfinden. Der Start ist am 3. Mai mit einer Vorführung des Stummfilms „Das Cabinet des Dr. Caligari“ mit Live-Musik.

Eine der Ideen der fünf ehrenamtlichen Programm-Kuratoren ist speziell auf die Verhältnisse in Wilhelmsburg zugeschnitten. Da dort die Mehrzahl der Bewohner einen Migrationshintergrund haben, wird es an den Sonntagen sogenannte „Heimspiele“ geben, in denen das Programm jeweils einem bestimmten Land gewidmet ist. Am 5. Mai gibt es etwa mit „Rotkohl und Blaukraut“ und „Almanya – Willkommen in Deutschland“ zwei Filme über Türken in Deutschland.

Eine Sanierung und ein dauerhafter Betrieb wäre für Stefan Reifenrath zu teuer, aber seine Initiative kann ja Eigendynamik entwickeln. Wahrscheinlich wird das Kino aber wieder in seinen Dornröschenschlaf fallen – doch es bleibt die Erinnerung an seine Erweckung.  WILFRIED HIPPEN