Erfolgreich streiten um jeden Hartz-IV-Euro – auch vor Gericht

ERWERBSLOSENBERATUNG Der Bremer Erwerbslosen-Verband (BEV) hat hunderten von Hartz-IV-Empfängern geholfen – bis zum Gang vors Verwaltungs- oder Sozialgericht. Meist ging es um kleine Summen, die einem Hartz-IV-Empfänger aber viel bedeuten. Ein paar Beispiele aus den Gerichtsakten des BEV

Ein 33-jähriger Mann, der seit 2005 einen „Mehrbedarf“ wegen verschiedener Unverträglichkeiten und Allergien geltend macht, ist mit seinem Anliegen bei der Bagis immer wieder abgeblitzt. Er verträgt keine Laktose, keine Fruktose, darf keinen Sellerie, keine Tomaten, keine Erdnüsse essen. Ist Herzkrank. 2005 hatte das Sozialamt einmal einen „Mehrbedarf“ für die erforderliche besondere Ernährung von 25 Euro im Monat gewährt. Im August 2009 lehnte die Bagis jeglichen Mehrbedarf ab. Der Mann ging zum Erwerbslosenverband in der Lindenstraße 1b, die half ihm bei einer Eil-Klage – am 17. 11. 2009 lag das Urteil auf dem Tisch: 53 Euro Mehrbedarf muss die Bagis zahlen.

Wenige Monate vorher hatte sich das Sozialgericht damit zu befassen, dass die Bagis bei einem Hartz-IV-Empfänger die Kosten der „Einzugsrenovierung“ nicht übernehmen wollte. Mit Hilfe der Erwerbslosenberatung war der Betroffene zum Gericht gegangen. „Wenn wir erfahren, welcher Richter zuständig ist, wissen wir meist schon, wie das Urteil ausgeht – es geht immer wieder um dieselben Sachverhalte“, sagt Herbert Thomsen, „Chef“ des Bremer Erwerbslosenverbandes (BEV). Im Falle der Einzugsrenovierung ging es um 100 Euro. In der Urteilsbegründung wird deutlich, dass das Gericht genervt ist darüber, dass die Bagis sich immer noch nicht an die Rechtsordnung hält: Das Urteil entspreche „der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Bremen“, heißt es in dem Richterspruch. Es gab frühere Urteile zu dem Themenbereich. Zudem gebe es eine deutliche Entscheidung des Bundessozialgerichtes: „Gleichwohl hat die Stadtgemeinde als kommunaler Träger bisher nicht ihre Verwaltungsanweisung angepasst“, heißt es im Urteil – eine deutliche Ohrfeige an die Adresse der Sozialsenatorin.

Ein dritter Fall: Eine Mutter, die mit ihrer Tochter von der Sozialhilfe lebt, beklagt sich, dass ihr seit Monaten nicht die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten erstattet werden. Der Streit ging um 116 Euro im Monat. Der Widerspruch gegen die Bescheide wird von der Widerspruchsstelle der Bagis abgeschmettert. Die Berater der Erwerbslosenhilfe raten ihr, vor Gericht zu gehen. Die Bagis schickt dem Sozialgericht nicht einmal die Fallakte mit der Begründung, dass „der Sachverhalt unstreitig und die Akte für die Entscheidung über die streitige Rechtsfrage nicht erforderlich“ sei. Für das Gericht ist die Sache auch eindeutig, aber anders als die Bagis denkt: Selbstverständlich seien die „tatsächlichen Heizkosten“ zu zahlen, urteilt das Gericht. Und die tatsächlichen Wohnkosten.

Bis zu 300 Betroffene kommen jeden Monat in die Beratung des BEV. Wie viele Klagen derzeit vor Gericht anhängig sind, das kann Herbert Thomsen aus dem Kopf nicht sagen. Nur Eilverfahren werden schnell entschieden, manche Klagen ziehen sich im Hauptverfahren lange hin. Dutzende von Urteilen hat der BEV mit seinen Ratsuchenden erstritten. Seitdem das alte Sozialamt durch die Bagis ersetzt wurde, hat sich die Zahl der Fehlentscheidungen der Behörde deutlich erhöht, sagt Thomsen. Und damit auch die Zahl der „gewonnenen“ Verfahren von Hartz-IV-Empfängern. Es geht immer wieder um dieselben Fragen, das bedeutet: Jedes gewonnene Verfahren zeigt, dass sogar die Widerspruchsstelle der Bagis die Rechtslage nicht beachtet. Was ein politischer Skandal wäre, ginge es nicht um die Ärmsten der Armen. Und die haben kaum eine Lobby.

111.000 Bremer beziehen Transferleistungen, jedes dritte Kind wächst mit staatlicher Stütze auf. Was das bedeutet? Weihnachten gibt es bei Hartz IV nicht. „Das fällt unter die Kategorie vom Mund absparen“, sagt Thomsen. Vom Regelsatz, der für Alleinstehende 359 Euro im Monat beträgt, müssen Geschenke gekauft werden – sonst müssen die Kinder in der Schule sagen: Bei uns fiel Weihnachten aus. Dass das auch anders gehen würde, zeigt die Stadt Burghausen in Bayern: Sie zahlt bis zu 120 Euro Weihnachtsbeihilfe. kawe