Onkel Toms Hütte zu verkaufen!

Harriet Beecher Stowes Sklaverei-Roman „Onkel Toms Hütte“ war der Blockbuster des 19. Jahrhunderts. Das tatsächliche Blockhaus landete kürzlich auf dem Immobilienmarkt

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

Der Immobilienmarkt rund um die amerikanische Hauptstadt Washington ist heiß. Jedes Wochenende wechseln tausende von Häusern, Apartments und Anwesen die Besitzer. Dass das hübsche, weiß getünchte Holzhaus im Bundesstaat Maryland wegging wie eine warme Semmel, war nicht überraschend. Erbaut im 17. Jahrhundert, drei Schlafzimmer, großer Garten, günstig zur Schnellstraße nach Washington gelegen. Einzige Besonderheit: Direkt am Haus, zwischen Buchsbaumbüschen und Laubbäumen, steht eine Hütte.

Es ist Onkel „Toms“ Hütte. Die Hütte, die im historischen Gedächtnis der Menschheit verbunden ist mit Sklaverei, rassistischer Brutalität und Leid. Hier, wo einst rechtlose Sklaven die Erde ihres „Masters“ bearbeiteten, rauscht heute der unermüdliche Pendlerverkehr von Rockville in die Bürolandschaften Washingtons. Einst lebte Josiah Henson in dieser Hütte, der schwarze Sklave, aus dessen 1849 erschienener Autobiografie die Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe drei Jahre später ihren literarischen Welterfolg webte.

Die kleine Frau mit dem Buch

Eine Legende weiß, dass Abraham Lincoln, als er die mittlerweile berühmte Harriet Beecher Stowe im Jahre 1862 kennen lernte, zu ihr sagte: „Also Sie sind die kleine Frau, die das Buch geschrieben hat, das diesen großen Krieg angezettelt hat?“ Gemeint war der Bürgerkrieg, in dem Nord gegen Süd, Abolitionisten gegen Sklavenhalter und Farmer gegen Händler kämpften. Anderthalb Jahrhunderte später, durch Theatervarianten und Cartoons vernebelt, wissen die meisten über diesen „Tom“ nur noch wenig: dass er ein gemeiner schwarzer Mann ist, der dümmlich nach der Anerkennung durch die Weißen strebt. Der in seiner idiotischen Pflichterfüllung sogar so weit geht, seine Schicksalsgenossen zu verraten. Eigentlich symbolisiert die raue Hütte im modernen Suburbia aber auch die Kraft, die Henson innegewohnt haben muss. Hier lebte einer, der sich aus seinem fremdbestimmten Schicksal befreien konnte. Einer, dem es schließlich gelingt, sein Leben in Würde zu führen. Nicht jeder, der heute hinter der Hütte täglich im Stau steht, könnte dies mit Sicherheit von sich behaupten.

So ähnlich muss Hildegarde Mallet-Prevost über Henson gedacht haben. Sie und ihr Mann Marcel hatten das Anwesen in den 60er-Jahren vor allem wegen der Hütte gekauft. Marcel, ein Rechtsanwalt, nutzte Hensons Heimstatt als Büro. „Meine Eltern waren Geschichtsfans“ erzählt ihr Sohn Greg, selbst schon weißhaarig und in seinen Siebzigern. Nachdem der Vater im Jahr 2000 verstarb und die Mutter im vergangenen September hundertjährig folgte, beschlossen Greg und seine beiden Geschwister, das Anwesen zu verkaufen. Im großen steinernen Kamin, der an der Stirnseite der Hütte thront, prasselt ein Feuer. Zuckendes Licht fällt auf die Rinde, die noch immer auf den Eichenstämmen der Hüttenwände zu sehen ist. Als Fußboden dienen breite Holzplanken, die wahrscheinlich aus dem Herrenhaus stammen, denn Josiah Henson beschrieb sein Leben auf der Farm so:

„Wir wohnten in Hütten aus Baumstämmen, in einem einzigen Raum, mit keinem anderen Boden als der gestampften Erde, in welchem zehn oder ein Dutzend Menschen – Männer, Frauen, Kinder – schliefen, was sie aber nicht vor der Kälte und Feuchtigkeit der Nacht bewahren konnte noch vor der Scham der alltäglichen Bedürfnisse. Es gab keine Betten oder sonstigen Möbel, nur eine Decke als einzige Dreingabe zum Nesselkleid, das uns vor der Kälte der Luft und des Bodens schützte. In diesen Löchern wurden wir in der Nacht zusammengepfercht und am Tag gefüttert. Hier wurden Kinder geboren und die Kranken vernachlässigt. So war die Ausstattung für die tägliche Arbeit der Sklaven.“

Touristen im Garten

In diesen Wintertagen führt Greg immer wieder Neugierige in die berühmt- berüchtigte Hütte. „Jeder, der ein Foto machen wollte, konnte in unseren Garten kommen“, erinnert er sich. Aber seine Eltern bestanden auf ihre Privatsphäre. So kommt es, dass bislang kaum ein Historiker die Hütte von innen gesehen hat. „Dabei ist dieser Ort von großer nationaler Bedeutung“, wundert sich Judy Christensen, Denkmalbeauftragte der Stadt. Zwar steht die Holzhütte auf der Liste der historischen Sehenswürdigkeiten des Kreises Montgomery, zu dem Rockville gehört. Doch im nationalen Register historischer Orte der USA ist sie nicht aufgenommen. „Weil“, erklärt Greg, „mein Vater nun mal dachte, er habe das Recht zu entscheiden, ob sie historisch sei oder nicht.“

Dass die Familie nun verkaufen muss, tut ihm weh. In seinen College- Sommerferien wohnte er stets in der Hütte. „Meine Eltern hätten gewollt, dass wir sie behalten, doch das lässt sich mit unseren Leben nicht mehr vereinbaren, wir wohnen alle weit weg.“ Ein Trost ist für ihn, dass es Heritage Montgomery, der Tourismusagentur des Kreises, gelungen ist, die geforderten 990.000 Dollar aufzutreiben. Sie hat diese Woche mit ihm den Vorvertrag unterzeichnet. Ein Dentallabor hätte zwar wesentlich mehr geboten, doch siegte bei den Mallet-Prevosts der heimatkundliche vor dem Geschäftssinn. Hier soll in Zukunft und mit privaten Mitteln ein Museum entstehen. „Es ist ein erstaunliches Anwesen, fast unverändert seit 200 Jahren“, freut sich Peggy Erickson, die Direktorin der Agentur. Und Greg schmunzelt: „Die Archäologen kommen her und drehen fast durch vor Glück. Wenn sie im Keller den Lehmboden sehen, dann haben sie schon fast die Schaufel in der Hand.“

Mit Glück hatte dieses Stück Land für Josiah Henson wohl nicht viel zu tun. Als kleiner Junge gelangt er, nachdem sein erster Besitzer verstarb und die ganze Familie, der Vater, fünf Geschwister und die Mutter getrennt verscherbelt werden, erst nach Umwegen in den Besitz von Isaac Riley. Der hatte zunächst nur seine Mutter gekauft. Sein frühester Albtraum, schrieb Henson später, war, als „ich sah, dass der Mann meine Mutter brutal schlug, als sie, seine Knie umarmend, ihn anbettelte, er solle mich auch kaufen, damit ihr wenigstens das jüngste Kind erhalten bliebe“.

Henson, klug und kräftig, arbeitete sich hoch zum Superintendenten der Farm, verantwortlich für Produktion und Verkauf der Güter auf den Märkten von Washington. Riley, schrieb Henson über seinen Besitzer, dem er 30 Jahre gehörte, „war ziemlich inkompetent. Ich war sein Faktotum und versorgte ihn mit allen Mitteln zu allen Zwecken, egal ob gut oder böse.“ Sein Unvermögen trieb Riley schließlich in große finanzielle Schwierigkeiten. 1825 beauftragte er ausgerechnet Henson damit, seine 18 Sklaven, inklusive Hensons Frau und Kinder, in Sicherheit zu bringen, damit die Gläubiger sie nicht pfänden ließen. Ziel der Reise sollte die Farm von Rileys Bruder in Kentucky sein. Die Gruppe musste dazu den Staat Ohio durchqueren, in dem die Sklaverei längst abgeschafft war. Immer wieder drängten befreite Schwarze Henson, dazubleiben und frei zu sein. „Man sagte mir, es sei Dummheit, weiter zu ziehen.“

Per „U-Bahn“ in die Freiheit

Doch Henson entschied sich dafür, ein Mann der Ehre zu bleiben – und sich und seine Gruppe getreulich abzuliefern. „Seit meiner frühesten Erinnerung wollte ich frei sein. Doch hatte ich mir nie einen anderen Weg zur Freiheit vorgestellt als den, mich von meinem Master freizukaufen.“ In Kentucky verdient er tatsächlich genug Geld, reist zurück nach Rockville, um sich und seine Familie loszukaufen: Sein Besitzer stiehlt ihm das Ersparte. 1830 schließlich flieht Henson samt Familie auf der so genannten Untergrund-Bahn, einem Netzwerk aus Abolitionisten und Antisklavereiaktivisten, in die Freiheit nach Kanada.

„Die natürliche Tendenz der Sklaverei ist es, den Master in einen Tyrannen und den Sklaven in ein verschlagenes, hinterhältiges und diebisches Tyrannenopfer zu verwandeln“, schreibt Henson 1849, mittlerweile 60-jährig, in einer kindlichen Handschrift. Seine neue Heimat, eine von ihm gegründete Siedlung im kanadischen Dresden, tauft er Dawn: Morgendämmerung.