„So schafft man zwei Klassen von Bürgern“

Die PDS-Politikerin Kadriye Karci hält die baden-württembergische Befragungspraxis bei Neueinbürgerungen von Muslimen für grundfalsch. Wie sollen die Neubürger einem Staat vertrauen, der ihnen pauschal misstraut?

taz: Frau Karci, Sie werden bald eingebürgert. Wie stehen Sie denn so zum Grundgesetz?

Kadriye Karci: Das ist eine überflüssige Frage. Wer sich als Demokrat bezeichnet, den muss man das nicht fragen.

Darf ein Staat Menschen, die dessen Bürger sein wollen, denn nicht nach dem Grundgesetz fragen?

Doch. Aber er darf nicht, wie das in Baden-Württemberg geschieht, Menschen allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit unter Verdacht stellen. Das ist eine Stigmatisierung und Diskriminierung. Warum möchte man denn eine Staatsbürgerschaft annehmen? Als Individuum möchte man den Schutz des Staates. Er soll Menschenrechte und -würde schützen. Wenn mich dieser Staat von vornherein als kriminell betrachtet, kann ich mich doch nicht in diesem Sinne als Staatsbürger fühlen. Wenn mir eine Staatsbürgerschaft unter dem Vorbehalt erteilt wird, dass ich sie wieder verliere, wenn ich irgendwann dem Staat nicht genehme Meinungen vertrete, dann vertraue ich diesem Staat von vornherein nicht.

Aber hat der Staat nicht ein Recht, sich zu schützen, um seine Bürger schützen zu können?

Ja. Aber Kriminelle und Terroristen, die gegen den Staat kämpfen, gibt es doch nicht nur unter den Eingebürgerten. Mit einer solchen Befragungspraxis schaffen wir zwei Klassen von Bürgern, und die eine davon steht immer unter Verdacht. In diesem Falle allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit. Die Lösung dieses Konfliktes kann aber auch nicht sein, diesen Fragebogen für alle einzuführen. Wenn eine Praxis falsch ist, ist sie für alle falsch.

Ihr eigener Einbürgerungsantrag läuft gerade. Warum wollen Sie Deutsche werden?

Ich bin seit 20 Jahren hier. Deutschland ist meine Heimat. Und ich bin politisch aktiv und möchte noch mehr machen. Dafür ist die Staatsbürgerschaft Voraussetzung.

Ihr erster Einbürgerungsantrag wurde 1993 aus politischen Gründen abgelehnt. Hat sich das auf Ihr Vertrauen ins deutsche Grundgesetz ausgewirkt?

Auf jeden Fall. Deshalb hat es lange gedauert, bis ich noch einmal die Einbürgerung beantragt habe. Ich hatte seit 1985 als Flüchtling in der DDR gelebt, weil ich Mitglied der damals illegalen Kommunistischen Partei der Türkei war. Meine Weltanschauung passte der Bundesrepublik nicht. Das war der Grund für die Ablehnung meines Antrages. Aber als politisch Aktive genieße ich die demokratische Ordnung dieser Gesellschaft, gerade weil sie mir gestattet, kritisch zu sein. Und diese Meinungsfreiheit erlaubt mir das Grundgesetz, so wie ich es verstehe.

Wenn Sie einen solchen Fragebogen ausfüllen müssten – hätten Sie dann auch einen Einbürgerungsantrag gestellt?

Nein. Denn dieser Fragebogen ist lächerlich und komplett unnütz. Und menschenrechtswidrig, denn er verletzt den Schutz der Privatsphäre, der Gedanken- und Meinungsfreiheit.

Hat Meinungsfreiheit nicht Grenzen, wo sie gegen das Grundgesetz verstößt? Darf ein Staat nicht Bewerber ablehnen, die zum Beispiel gegen die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sind?

Man muss akzeptieren, dass Werte sich in langsamen Prozessen verändern. Das wird nicht an einem Tag geschehen, das wird nicht durch einen Fragebogen geschehen. Es gibt in dem Fragebogen eine Frage zu Homosexuellen – seit wann gibt es in der BRD die eheähnlichen Gemeinschaften für Homosexuelle? Seit zwei oder drei Jahren. Homosexualität war auch hier lange ein Tabu, ist es in manchen Kreisen immer noch. Oder die Frage nach einer Chefin: Wie viele Chefs sind in dieser Gesellschaft Frauen? Unter zehn Prozent. Die Mehrheitsgesellschaft hat also auch Defizite. Die Veränderung von Werten braucht Zeit. Diese Zeit muss man auch den Zuwanderern geben.

Hatten sie diese Zeit nicht bereits?

Vielen Migranten war lange nicht klar, dass sie dauerhaft in Deutschland bleiben – und auch den Deutschen war das nicht klar. Außerdem betrachten viele seit dem September 2001 Muslime als potenzielle Kriminelle – der Fragebogen ist ein Beweis dafür. Das sind keine guten Voraussetzungen für Identifikation mit dem deutschen Staat.

Könnte ein Eid auf die Verfassung sinnvoll sein?

Das kann man machen, aber nicht wie in den USA, mit Fahneneid und Bibel. Man muss den Neubürgern das Gefühl vermitteln, dass sie herzlich willkommen sind. Das vermisse ich hier. Man wird eingebürgert, weil man die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Es wird sozusagen zähneknirschend hingenommen. Das ist das Gefühl, dass einem viele Beamte während des Verfahrens vermitteln. Aber Staatsbürgerschaft ist nicht nur ein Stück Papier. Es muss auch dem Gefühl, dem Herzen etwas vermittelt werden. Dann kann man auch einen Eid aussprechen.INTERVIEW: ALKE WIERTH