Die Arroganz des Klassenprimus

Alba Berlin dominiert die Basketball-Bundesliga und besiegt auch die Tigers Tübingen mit 94:74. Anfangs spielen die Berliner allerdings mit angezogener Handbremse. Respekt hat Alba nur noch vor den übermächtigen Gegnern im Europapokal

von Andreas Rüttenauer

Es waren keine zwei Minuten mehr zu spielen am Samstag in der Max-Schmeling-Halle, da machte sich Quadre Lollis auf dem Weg zu einem Korbleger. Er hob ab, wurde gleich von zwei Gegenspielern angegriffen und mindestens einen halben Meter vom Korb weggeschoben. Trotz dieses unfairen Einsteigens gelang es dem Forward von Alba Berlin irgendwie, den Ball in der Hand zu behalten, den er dann kurz vor der unsanften Landung mit einem Hakenwurf irgendwie Richtung Korb bugsierte. Treffer! Lollis’ Mitspieler rissen die Arme hoch, die Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen. Es begann eine weitere Alba-Party, die bis zur Ehrenrunde nach dem 94:74-Sieg der Berliner in der Bundesligapartie gegen die Tigers Tübingen andauerte. Alba hatte wieder einmal haushoch gewonnen.

Nach der Partie haderte Gästetrainer Pat Elzie ein wenig mit seinem Schicksal. „In dieser Höhe war die Niederlage ein bisschen unverdient“, meinte er, und keiner wollte ihm widersprechen. Denn es dauerte lange, bis Alba sich eine klare Führung herauswerfen konnte. Nach dem ersten Viertel lagen die Berliner noch zurück, zur Pause stand es 36:36. Dass die Gäste so lange mithalten konnten mit der bislang überragenden Mannschaft der Liga, die erst eines von 13 Spielen verloren hat in dieser Saison, das lag allerdings nicht nur an der Qualität der Tübinger Spiels. Die Berliner wirkten lange Zeit wie gelähmt.

Statt ihr gefürchtetes Tempospiel aufzuziehen, schoben sie sich bei ihren Angriffen ganz langsam in Richtung des gegnerischen Korbs. Es wirkte so, als seien sich die Berliner sicher gewesen, dass sie ein Spiel gegen eine Mannschaft aus dem Tabellenmittelfeld mit angezogener Handbremse gewinnen könnten. Es war die Arroganz des überlegenen Klassenprimus, die sich da zeigte. Die 6.500 Zuschauer wunderten sich über den pomadigen Auftritt der Gastgeber.

Die überaus bewegliche und aggressive Zonenverteidigung der Gäste bekamen die Berliner erst in den Griff, als sie das Tempo erhöhten, als sie begannen athletischer zu spielen, als sie mit schnellem Passspiel ihre Distanzschützen in Position bringen konnten. „Wir sind eine Mannschaft, die laufen muss, die aggressiv spielen muss“, analysierte Alba-Coach Henrik Rödl im Anschluss an die Partie und meinte: „Nur so kommen wir in Fahrt, und dann sind wir schwer zu schlagen.“

Rödl hofft, dass seine Mannschaft aus der ersten Hälfte gelernt hat. Er hat doch arg gelitten unter der Darbietung seines Teams vor der Pause. Am Ende war er stolz darauf, dass seine Mannschaft, dann doch noch gezeigt hat, was in ihr steckt. Das Kompliment des Gästetrainers, wonach sich im Schlussviertel gezeigt habe, dass Berlin eine echtes Spitzenteam sei, nahm Rödl freundlich lächelnd mit zustimmendem Nicken entgegen.

Danach wurde er zur anstehenden Begegnung im europäischen Uleb-Cup befragt. Ein unangenehmes Thema. In dem europäischen Wettbewerb gelten die Berliner nun wahrlich nicht als Spitzenteam. Sechsmal haben sie schon verloren, erst zweimal gewonnen. Dennoch gibt es noch die theoretische Chance auf den Einzug in die nächste Runde. Am Dienstag spielt Alba im belgischen Bree. Schon vor Beginn der Partie wissen die Spieler, ob es noch eine Chance aufs Weiterkommen gibt. Dafür muss der Konkurrent um Platz vier in der Sechsergruppe, der lettische Club BK Ventspils, gegen das bereits für das Achtelfinale qualifiziere Team von Akademic Sofia verlieren.

Rödl erwartet von seiner Mannschaft, dass sie unabhängig davon einen souveränen Sieg einfährt. Es geht um den Ruf von Alba Berlin in Europa – und der könnte derzeit schlechter nicht sein. Bei Fragen zum Europapokal vergeht Rödl übrigens das Lächeln. Er wirkt dann verunsichert – wie seine Spieler, wenn sie gegen Teams aus dem Ausland antreten müssen.

Deutsche Gegner flößen dem Coach dagegen kaum mehr Respekt ein. Als Rödl zum am Samstag ausgelosten Gegner in der nächsten Runde des nationalen Basketballpokals befragt wurde, sagte er nur: „Ich freue mich über das Los.“ Die Berliner spielen am 15. Februar gegen die Eisbären Bremerhaven, die einzige deutsche Mannschaft, die gegen Alba in dieser Saison gewonnen hat.