berliner szenen Am Schwarzsauertresen

Architekt auf Reisen

Die Theke im Schwarzsauer in der Kastanienallee ist kein Ort für ein heiter-informatives Kennenlerngespräch. Meist sitzen hier mittelalte Männer wohlig-brütend vor ihrem Bier, und wenn sich einmal zwischen zwei Hockernachbarn was anbahnt, geht es nicht unter fünf verschiedenen, trunken vorgeführten Welterklärungsmodellen.

Mit G., der trotz seines leicht vorstehenden Unterkiefers im Vergleich zum sonstigen Schwarzsauer-Publikum außergewöhnlich gut aussah, war das anders. Freundlichst wunderte er sich über den Einstieg mit Bier und Whiskey und zeigte auf seine Kombination Bier und Jägermeister; freundlichst plauderten wir danach über Berufsaussichten und Berlinverbindungen.

G., der aus Österreich stammt und dort Architektur studiert hat, war nur zu Besuch. Er wollte mal wieder „nach dem Rechten in Berlin“ sehen, wie er sagte. Zwei Jahre hatte er hier gelebt, in der Kastanienallee, gegenüber vom 103, und in dieser Zeit hatte er an der TU sein Architektur-Diplom gemacht. Inzwischen aber, so G., seien die Aussichten für Architekten trübe, und er lebe nun in Norwegen. Auch, weil er ein österreichisches Architektur-Stipendium bekommen hätte, das jetzt jedoch auslaufe, und seiner Freundin zuliebe, die Norwegerin sei und bald einen Job antrete.

Dass das Hin und Her zwischen Österreich, Berlin und Norwegen nicht seiner Lebensinhalte letzter Schluss war, merkte man G. an. Dann erzählte er etwas von seinen Schönheitsoperationen und einer ambitionierten Mutter, und plötzlich fühlte man sich, an der Theke des Schwarzsauers, gar in ein Romanset von John Irving oder Bret Easton Ellis versetzt. Davon aber wollte G. nichts wissen, er trank seinen Jägermeister aus, zahlte und ging.

GERRIT BARTELS