STEFAN KUZMANY über GONZO
: Er forderte Slayer

Die ganze Palette des Wahnsinns: In der Schneehölle auf der Autobahn

Finsternis. Die Autobahn schnürte sich Kilometer um Kilometer unter den Reifen meines alten Golfs ab. Es lief alles gut. Kein Schnee, kein Matsch, alles frei. Auf dem Beifahrersitz Timo, Kumpel und Reisebegleiter. Familienbesuchrückfahrt. Sein Handy klingelte. Schon wieder.

„Schon wieder dieser Arsch.“

„Dann mach halt bitte dein Handy aus.“

„Geht nicht. Sie wollte doch anrufen.“

Sie. Uli. Timos Neue. Eigentlich sehr erfreulich, dass sich bei ihm endlich, nach langen harten einsamen Jahren, wieder ein zwischenmenschlicher Kontakt mit einer Frau anbahnte. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, er würde langsam seltsam werden. Noch seltsamer.

Wochenlang nur noch ein Thema. Ob sie ihn auch mochte? Wie er sie dazu bringen konnte, ihren Noch-Freund zu verlassen? Die gemeinsame Wohnung aufzugeben? Ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, einen parfümierten Liebesbrief an sie zu schicken, wohl wissend, dass der eifersüchtige Freund ihn in die Finger bekommen würde?

Dann, endlich, die Weihnachtsfeier im Call-Center, dem gemeinsamen Arbeitsplatz. Der erste Kuss. Das erste Mal. Ich wurde stets per SMS informiert, ob ich wollte oder nicht. Damit war es aber noch nicht besser. Denn es kamen: die einsamen Nächte ohne sie. Sie bei dem anderen, er allein. Timo trank ganz gerne mal einen. Oder zwei. Viele. Dann: die Anrufe. „Gestern nacht bin ich wieder ziemlich ausfällig geworden.“ Stolz berichtete mir Timo von seinem Telefonterror.

Kurz hinter Nürnberg heftiger Schneefall. Nach kurzer Zeit die gesamte Fahrbahn voller Matsch. Selbst bei Tempo vierzig ganz rechts war das Lenken und Bremsen äußerst unangenehm, fast unmöglich geworden.

„Wir sollten möglichst bald rausfahren und warten, bis der Räumdienst durch ist.“

Timo reagierte nicht. Er war gerade damit beschäftigt, eine SMS zu verfassen. Er kicherte vor sich hin. Wahrscheinlich schrieb er eine schwere Beleidigung an seinen Rivalen. Dass dabei seine Telefonnummer sichtbar war – kein Problem. Die war dem anderen längst bekannt. Offenbar hatte er das Handy von Uli gefilzt. Und seither ging es hin und her. Denn der andere war genauso irre wie Timo. Nächtliche Anrufe. Droh-SMS. Auflauern am Arbeitsplatz. Die ganze Palette des Wahnsinns.

In einer Autobahnraststätte hinter Nürnberg aßen wir das schlechteste Schnitzel der Welt. Es kostete neun Euro und fünfzig Cent. Pommes extra. Das Ketchup war in der Flasche geronnen. Timo telefonierte.

„Ich mach dich kalt!“

Jetzt hörte er seinem Gesprächspartner zu.

„Das schaffst du nicht. Ich mach dich kalt.“

Er wurde laut. Er hätte kein Bier trinken sollen. Dänische Touristen drehten sich um.

„Was glotzt ihr so dämlich?“

„Timo, wir fahren jetzt weiter.“ Alles war besser als das. Auch die Schneehölle.

Aber der Räumdienst hatte gute Arbeit geleistet. Wir kamen zügig voran. Zwei Stunden lang war die Straße frei. Alles lief gut. Ab und zu klingelte Timos Handy. Er ging ran und stieß wüste Beschimpfungen aus, die offenbar umgehend erwidert wurden. Er hatte sich an der Raststätte noch ein Six-Pack mitgenommen und war jetzt gefährlich betrunken. Das Radioprogramm genügte seinen Ansprüchen nicht. Er forderte Slayer, volle Lautstärke. Und öffnete sich noch ein Bier.

Plötzlich, ich hatte es nicht kommen sehen, war die Fahrbahn spiegelglatt. Ich bremste, das Auto schlingerte, es ging noch mal gut. Schweiß auf der Stirn. Wir kamen auf dem Standstreifen zum Stehen. Sein Handy klingelte. Ich griff danach. Ich war ungehalten.

„Hör zu, du Arsch, ruf hier nie wieder an. Du störst.“

„Hier ist Uli. Könnte ich Timo sprechen?“

Er entschuldigte sich für mein rüpelhaftes Verhalten. Ich sei „komisch“. Sanftes Gurren. Für den Rest der Fahrt telefonierten sie miteinander. Ich ließ ihn in der Nähe ihrer Wohnung raus.

Er hat mich seither nicht wieder angerufen.

Fragen zum Schnitzel? kolumne@taz.de Morgen: Michael Streck ist BACK HOME