Wer wird deutscher Meister?

HANDWERK Deutschlands im Vergleich zu anderen europäischen Ländern rigide Beschränkungen für selbstständige Handwerker sind zunehmend umstritten

Die Zulassungspflicht schränkt das Grundrecht der freien Berufswahl ein

VON TILMAN VON ROHDEN

Was einer darf, darf der andere noch lange nicht. Jedes Kind lernt frühzeitig, dass das nicht sein darf, weil es ungerecht ist. Nicht zuletzt deshalb geht der Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker (BUH) auf die Barrikaden. Er streitet dafür, dass jeder Geselle mit einem entsprechenden Abschlusszeugnis einen Handwerksbetrieb aufmachen darf. Auf der anderen Seite der Barrikade kämpft der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH), der die oberste Organisationsebene des Handwerks darstellt, für eine Begrenzung des Rechts von Handwerkern, sich selbstständig machen zu dürfen.

Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern rigide Beschränkungen für selbstständige Handwerker. Sie dürfen in vielen Fällen nur einen eigenen Betrieb aufmachen, wenn sie die Prüfung zum Handwerksmeister abgelegt haben oder eine vergleichbare Ausbildung, etwa ein Ingenieurstudium, absolviert haben. Daneben gilt es eine Reihe weiterer Ausnahmeregelungen, die aber meist restriktiv gehandhabt werden. In der Praxis führt dies dazu, dass mehr als 60 Prozent aller zugelassen Handwerksbetriebe von einem Meister geleitet werden. Gesellen mit langjähriger Berufserfahrung konnten nur zu rund 10 Prozent einen Handwerksbetrieb gründen.

Nach der Handwerksordnung sind 41 Gewerbe zulassungsbeschränkt. Die Zahl scheint nicht besonders hoch zu sein, doch der Eindruck täuscht. Denn hinter dieser Zahl verbirgt sich die Tatsache, dass 90 Prozent aller Handwerksbetriebe und rund 80 Prozent aller Beschäftigten im zulassungspflichtigen Handwerk arbeiten. „Wir sehen uns in dem Grundrecht der freien Berufswahl eingeschränkt“, sagt Oliver Steinkamp, Mitglied des Vorstands des BUH. Er beklagt, dass bei den Zulassungsbeschränkungen jedes Maß verloren gegangen sei. Dies treffe nicht nur auf den Gesetzgeber zu, sondern auch auf die Exekutive und Verwaltungspraxis. Wenn etwa der Verdacht bestehe, dass die Handwerksordnung nicht eingehalten wird, kann dem mit Hausdurchsuchungen von Privatwohnraum nachgegangen werden. „Das ist völlig überzogen, weil es, selbst wenn der Vorwurf zuträfe, den Meisterzwang verletzt zu haben, nur auf eine Ordnungswidrigkeit wie etwa Falschparken hinausliefe“, sagt Steinkamp.

Dagegen vertritt der Zentralverband des deutschen Handwerks die Position, der Meisterbrief sei eine „einzigartige Qualifikation“. Er garantiere zusammen mit der dualen Berufsausbildung die Leistungsfähigkeit des Mittelstands in Deutschland. Diese Argumentationsfigur wird zusehends brüchig, weil das Handwerk schon längst nicht mehr die Ausbildungsstätte der Nation ist. Mittlerweile bildet das Handwerk nur noch rund ein Drittel der Berufsanfänger aus. Industrie und Handel haben die führende Rolle übernommen. Der ZDH argumentiert dagegen, das Handwerk sei noch immer „überproportional ausgebildet“, und verknüpft dies mit dem Recht auf Zulassungsbeschränkungen. Der BUH kontert: „Die duale Ausbildung hat nichts mit dem Meisterzwang zu tun. Ein gutes Ausbildungssystem ist auch ohne Zulassungsbeschränkungen machbar.“

Eine weitere Verteidigungslinie verläuft beim Thema Sicherheit. Die Gefahrenabwehr verlange, dass manche Tätigkeiten nur von sehr gut ausgebildeten Kräften, sprich Meistern, ausgeübt werden dürfen. Diese an sich stichhaltige Argumentation führt in der Praxis zu fragwürdigen Regeln. So muss ein Bäcker, der einen eigenen Betrieb führen will, in aller Regel die Meisterprüfung abgelegt haben. Ein Koch dagegen braucht diese Prüfung nicht zu absolvieren, obwohl seine Kunst im Zweifelsfall für Dritte eine größere Gefahr darstellt, nicht zuletzt weil er mit Fleisch, Fisch und Eiern im Rohzustand arbeitet. Warum der eine Beruf zulassungsbeschränkt ist, der andere aber nicht, will sich dem Leser des Katalogs in der Handwerksordnung nicht erschließen.

Der Augsburger Rechtsanwalt Simon Bulla, der sich seit Jahren mit dem Meisterzwang beschäftigt, spricht von einer „fast willkürlichen Zuordnung der einzelnen Gewerke“. Die zuletzt 2004 reformierte Handwerksordnung habe im Ergebnis „nicht mehr als den Schein einer Liberalisierung erzeugt“, so Bulla.

Viele Kritiker lehnen das deutsche Regelwerk für Berufszulassungen insbesondere deshalb ab, weil es inländische Handwerker gegenüber ihren Kollegen aus der Europäischen Union benachteiligt.

Nur in Luxemburg ist das Recht ähnlich restriktiv wie in Deutschland. Bei Handwerkern aus anderen EU-Staaten reicht ein Berufsabschluss mit entsprechender Erfahrung aus, um sich hierzulande niederlassen zu dürfen. Geprüft werde nach „liberaleren Regelungen“ der Handwerksordnung, so Rechtsanwalt Bulla. Begünstigt seien Handwerker aus dem EU-Raum insbesondere, wenn sie hierzulande nur einzelne Projekte umsetzen. Dann würde ihre Qualifikation nicht eigens überprüft, es bestehe nur eine Anzeigepflicht. Auch das Bundesverwaltungsgericht, stellte 2011 fest, dass das grenzüberschreitende Handwerk „mit deutlich niedrigerer Qualifikation“ möglich sei. Gleichwohl bestätigte es die Handwerksordnung in der jetzigen Form. Der BUH rechnet nicht damit, dass sich in absehbarer Zeit an der restriktiven Praxis der Zulassung selbstständiger Handwerker ohne Meisterbrief etwas ändern wird.