„Operative Hektik“

taz: Herr Kramer, der so genannte Muslim-Test in Baden-Württemberg richtet sich an Muslime, die eingebürgert werden wollen. Würden da nicht auch viele Deutsche, auch Juden, durchfallen, etwa bei der Frage nach ihrer Einstellung zur Homosexualität?

Stephan Kramer: Wahrscheinlich 50 Prozent der Deutschen oder mehr würden bei der Frage mit der Homosexualität Probleme haben. Insofern halte ich das für eine untaugliche Frage und einem untauglichen Versuch, sich überhaupt diesem Thema zu nähern.

Auch das, christlich gesprochen, Alte Testament ist voller Aussagen, die dem Grundgesetz widersprechen, etwa was die Rechte der Frauen anbelangt.

Man sollte vorsichtig sein, das Alte Testament oder den Koran dazu zu benutzen, um bewusst Leute auszugrenzen. Nur weil man daraus eine Fallkonstellation konstruieren will, dass sie automatisch gegen die Verfassung eingestellt sind. Es gibt unzählige Interpretationen dieser alten, ehrwürdigen Texte, die auch eine neue Sichtweise zulassen – dann kann von einer Konfrontation keine Rede mehr sein.

Finden Sie es richtig, dass nur Muslime diesen Test durchlaufen müssen?

Man muss zwar anerkennen, dass es ein legitimes Ziel ist, sich so Islamisten zu nähern, aber hier ist schon der erste Fehler: Nicht alle Muslime sind automatisch Islamisten. Bei Islamisten haben wir in der Tat Probleme. Aber das gilt nicht nur für solche, sondern auch für Hardliner von anderen religiöse Minderheiten und Gruppen. Ich denke, bei dem Test ist operative Hektik am Werk: Zwar gut gemeint, aber nicht gut genug.

Wäre ein Test für alle Einbürgerungswilligen sinnvoll?

Ein solcher Fragebogen für generell alle, die eingebürgert werden wollen, ist sicherlich richtig, aber der sollte sich eindeutig an Fragen und Problemkreisen orientieren, aus denen tatsächlich Erkenntnisse zu gewinnen sind. Wer glaubt, dass man mit so einem oder einem anderen Test zur Einbürgerung sozusagen einen Seelenstrip vollziehen kann, um hinter den Aussagen die Einstellungen von Menschen zu sehen, liegt falsch. Das funktioniert nicht.

Sind aber nicht auch die Ängste bei manchen nicht ganz unberechtigt?

In der Tat sollte man die Sorgen ernst nehmen. Die nehmen auch wir als jüdische Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland ernst. Aber kennt die muslimische Minderheit überhaupt die Verfassung in ihrer Gänze und ihren Auswirkungen? Hatte sie überhaupt die Chance, sich damit auseinander zu setzen?

Wünschten Sie sich von den muslimischen Verbänden in Deutschland ein klareres Bekenntnis zum Grundgesetz?

Die Frage ist: Von welchen muslimischen Organisationen sprechen wir? Zum Teil hat es solche Erklärungen ja gegeben – etwa von Nadeem Elyas, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime. Allerdings weiß ich, dass es da noch immer Bedenken gibt, etwa ob seiner Legitimation und ob das alles ernst gemeint ist. Ich denke jedoch, man sollte ihn beim Wort nehmen. Man sollte endlich auch den Dialog mit den anderen muslimischen Organisationen aufnehmen – und sich nicht hinter dem Argument verschanzen, dass man nicht den einen Ansprechpartner habe. Man muss einen ersten Schritt tun, und wir als jüdische Gemeinschaft haben ihn getan. Wir sind im Gespräch mit muslimischen Vertretern. Das heißt nicht, dass alle Schwierigkeiten damit aus der Welt geschafft sind. Aber man muss anfangen, Brücken zu bauen.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER