Leben im Schandfleck

Offiziell heißt es das Legiencenter. Aber die meisten nennen den schäbigen Wohnblock in Hamburg-Billstedt einfach nur „den Bunker“. Um die Lage der darin einquartierten Roma zu verbessern, blasen Verwaltung und Umfeld nun zur Kooperation. Fragt sich nur, ob die Bewohner das auch wollen

von Jan Freitag

Bunker? Bei dem Wort winkt Günther Schiedek ab. Billstedts Ortsamtschef bevorzugt Legiencenter. „Bunker, ja.“ Sükrü Ilgin hat weniger Berührungsängste mit dem Begriff. „Aber wir benutzen ihn eher intern“, sagt der Leiter vom Haus der Jugend im Hamburger Stadtteil. Bunker! Was denn sonst, meint dagegen Bernd Schmidt, der Chef des Jugendamts gegenüber jenem Block mit dem abweisenden Pseudonym und seinen 150 Wohnungen. „Das sagt hier jeder.“ Auch wenn es nicht jeder gern hört.

Drei Meinungen zum volksmündlichen Titel eines Gebäudes, das seit seiner Erbauung die Gemüter im armen Randgebiet der reichen Hansestadt bewegt. Drei Zugänge zur Realität, wenn man so will – besser lässt sich die Lage am besonders heißen Brennpunkt der daran nicht eben unterversorgten Metropole kaum darstellen. Für den Bezirk ist der Bunker ein Schandfleck und gehört befriedet.

Allein, ob die Bewohner das wollen, ist unklar. Der Bunker, sieben Stockwerke verwitterter Beton und Klinker, ein verwahrloster Hof hinten, mehr Satellitenschüsseln als Balkone vorn, darunter eine Ladenzeile aus Fitnessstudio, Callshop und Schnäppchenmarkt. Die Geschäftsfluktuation steigt, „Vatma ist eine Nute“ steht neben dem kaputten Fahrstuhl, Schulpflichtige spielen mittags Fußball. So lebt es sich oft in derlei Gebäuden. Nur ist hier eine Minderheit in der Mehrheit: Roma. Das, Jugendamtsleiter Schmidt quält sich etwas zu der Aussage, „ist da drin bislang die problematischste Gruppe“.

Mitte der Neunziger drängte die Stadt, Roma – meist Flüchtlinge aus Mazedonien – von der City an die Peripherie. Mit dem Legiencenter, rund 20 Jahre zuvor als Shoppingcenter geplant, fand sich ein privates Objekt mit niedrigen Mieten und geringem Widerstand gegen die Neuankömmlinge. Eine seltene Konstellation.

Bald etablierte sich eine Subkultur, die vielen Klischees über Roma genügte. Die Familien blieben, damals wie heute, unter sich und da sie ihren Müll aus dem Fenster warfen, übertreibt Schmidt die Verhältnisse, „trug der Hausmeister einen Helm“. Es ist der uralte Kreislauf aus Ablehnung und Rückzug. Staat und Behörden seien für die Volksgruppe regelrecht Feindbilder, erzählt Schmidt aus seiner Arbeit. „Wir haben große Probleme, einen Fuß in die Tür zu kriegen.“

Angeblich meidet der Allgemeine Soziale Dienst (ASD), zuständig für das Kindswohl, das Gebäude. Im Notfall hilft Polizeischutz, was die Angst der Bewohner vor der Bürokratie noch verstärkt. Die Konsequenz ist eine Kette aus gegenseitigen Ressentiments, Schulabsentismus, Kriminalität und Perspektivlosigkeit.

„Fast alle unsere Besucher hatten schon Kontakt mit der Polizei“, meint Sükrü Ilgin. Sein Haus der Jugend, direkt am blitzsauberen Einkaufszentrum gelegen, ist das Stammhaus der Roma aus dem Bunker, und deren Eltern, weiß der Erzieher, „halten wenig von Schule“. Hätten viele doch selbst nie regelmäßig eine besucht. Bei 98 Prozent Arbeitslosen, so schätzt er, fehle es an berufstätigen Vorbildern. Die Kinder verschlafen, schwänzen, lernen keine Umgangsformen oder Moralvorstellungen, haben viel Zeit und wenig Aussichten. Ilgin berichtet zwar von Erfolgen, von guter Kooperation mit der Förderschule oder Jugendlichen, deren Eltern bereits zu den Besuchern zählten. Doch der Kontakt endet an der Tür.

„Wir gelten als überstaatlich“, erklärt Ilgin. Dreimal Billard mit seiner Klientel schaffe mehr Vertrauen als ein Diplom in Pädagogik. „Aber was draußen passiert, kriegen wir kaum mit.“ Weil dafür Personal fehlt, helfen im Konfliktfall oft nur Hausverbote.

Die Roma, ist aus einer anderen Einrichtung zu hören, wechseln fast zyklisch die Häuser, vertreiben dort durch Aggressivität oder bloße Anwesenheit das Publikum und ziehen weiter. Bernd Schmidt spricht unverblümt von „Besetzungen“. So gilt der Bunker vielen nur als Problem in Blockgröße, ein Getto für Roma, Afghanen und eine Handvoll Deutscher, im Dezember gut erkennbar an den weihnachtlich dekorierten Fenstern.

Doch es regt sich was. Bürokratie, Politik und Träger koordinieren sich gegen den Ruf des Bezirks und seines baulichen Symbols. Auf Bezirksebene tagte im Frühjahr erstmals ein informell AK Bunker genannter Arbeitskreis aus Amtsvertretern, Pädagogen, ASD und Polizei. Kurz darauf beschloss der Senat das Programm „Aktive Stadtteilentwicklung 2005-2008“, in dem mit Mitteln der Bund-Länder-Initiative „Die soziale Stadt“ Konfliktherde in Ballungsräumen saniert werden.

Zurzeit berät er, ob Billstedt-Horn samt Legiencenter darin einen Sonderstatus erhält. Auch im bundesweiten Projekt „Zuwanderer in der Stadt“ fand das Quartier als eines von neun Modellgebieten Eingang. Nach Jahren der Stagnation, freut sich Amtschef Schiedek, „passiert endlich was“.

Von Arbeitslosigkeit bis Einkommenshöhe belegt Billstedt in Hamburg stets hintere Ränge. Bei der AWO am Bunker warten viele, vor allem Roma, seit Mai auf ihre Pflicht-Integrationskurse und mit 50 Prozent übertrifft der Sozialwohnungsanteil den Schnitt ums Dreifache. Zur Verbesserung der Bevölkerungsmischung erhält Geschossbau zugunsten von Reihenhäusern deshalb seit Jahren keine Genehmigung mehr. Wenn man Menschen mit geringen Perspektiven ballt, Schiedek zeigt auf dem Plan die zehn Großsiedlungen seines Bezirks, „wird es meist schlimm“. Auch das Legiencenter war Ergebnis einer Stagnation. Er runzelt die Stirn: „Heute ist das unvorstellbar.“

Wie viele der 39 Millionen Euro des Entwicklungsprogramms nach Billstedt fließen, ist offen. Doch schon der Einstiegsphase zur Vernetzung baulicher, sozialer, gesundheitlicher, struktureller und kultureller Maßnahmen unter Beteiligung der Bevölkerung – vorgesehen ist zunächst eine Zukunftskonferenz – stellt Schiedek die erste Million in Aussicht. „Das fängt mit Hausbetreuerlogen an.“

Ibrahim sitzt bereits in einer, auch wenn Blechbude den Container am Bunker besser beschriebe. „Ich höre nur Negatives über das Haus“, ärgert er sich. Der 60Jährige betreut den Komplex seit 2003. Er kennt jede Wohnung, jeden Bewohner. „Am Anfang war’s mir zu extrem“, erinnert sich der erfahrene Konfliktschlichter an Drogen, Diebstähle und Gewalt. Aber jetzt? „Es ist viel ruhiger geworden.“ Das Legiencenter sei kein Einsatzschwerpunkt mehr, bestätigt auch die Polizei. Ibrahim lacht: „Man muss nur mit den Leuten reden.“ Und wenn das nicht klappt, hilft Naser Nurdedin.

Der Sozialarbeiter, selbst Roma aus Mazedonien, übersetzt: Die Sprache. Und die Mentalität. Damit hat er schon nebenan in Billbrook gut zu tun, wo die Schule mehrheitlich Roma unterrichtet, wo eine vorwiegend von ihnen bewohnte Siedlung nach dem Willen der Stadt aufgelöst werden soll und die Familien Richtung Bunker ziehen könnten.

Nuredin vermittelt in ganz Hamburg zwischen Roma und dem Rest. Auch im Bunker. Aber dort gebe es nicht mehr Kriminalität als anderswo. Schwieriger sei die Furcht vor der Bürokratie und das Schwänzen. Fast hoffnungslos werde es, wenn Roma nach dem Abschluss eine Lehrstelle suchen. Nuredin schüttelt den Kopf: „So verstärken sich die Vorurteile weiter.“ Das liege auch an den Betrieben, denen schon das Äußere oft nicht behage.

Vorbehalte gegen „Zigeuner, der Hass, die Beschimpfungen“, wie Nuredin sagt, sind zäh. Und die Roma keineswegs so erpicht auf Integration, wie es sich das Umfeld erhofft. In Billstedt wird es nicht brennen wie unlängst in Paris, weil statt Wut eher Gleichgültigkeit herrscht.

Roma wollen nicht mit Behörden oder Reportern reden, weil sie nichts von ihnen erwarten, von niemandem, außer der eigenen Familie und vielleicht noch der Stütze. Viel zu tun für Stadtentwickler und Arbeitskreise. Die Bunkermentalität besteht auf beiden Seiten.