Ein Verleger mit Mission

Helmut Donat sieht es als Lebensaufgabe, den Genozid an den Armeniern ins Bewusstsein zu rücken. Im Fall des Schriftstellers Orhan Pamucks erkennt er die Widerstände, gegen die er selbst kämpft

Bremen taz ■ In der Türkei wird ein Schriftsteller vor Gericht gestellt, weil er die Zahl von einer Million in den Raum gestellt hat. Eine Million Armenier, die im ersten Weltkrieg ermordet wurden. In Bremen wird bei einer Veranstaltung ein Büchertisch umgestürzt, zwei Männer verletzt. Helmut Donat kommt mit dem Schrecken davon.

„Der Fall Orhan Pamuks ist eine Parallele zu meinem“, ist der Bremer Verleger überzeugt. „Die Leute, die ihn zum Schweigen bringen wollen, haben es auch auf mich abgesehen.“ Womit er keine konkreten Personen meint, sondern eine Mentalität, gemischt aus Unwissen, falschem Stolz und Glorifizierung des militarisierten türkischen Staates.

Seit mehr als 20 Jahren bringt Donat Bücher heraus, die den Genozid an der armenischen Minderheit 1915 im Osmanischen Reich anprangern. Er nehme Morddrohungen für sein Engagement in Kauf, berichtet er achselzuckend. Die Massaker bekannt zu machen, sei die Aufgabe, die er zu erfüllen habe. „Wenn es kein anderer macht, muss ich es tun.“ So hat er im Sommer 2005 bei einer von türkischen Vereinen und Moschee-Gemeinden veranstalteten Diskussion einen Büchertisch aufgebaut. Über Bremen hinaus erregte Empörung, dass von den Veranstaltern engagierte Ordner gegen den Verleger handgreiflich wurden. Inzwischen ermittelt der Verfassungsschutz gegen die Täter.

„Denen habe ich die Suppe versalzen“, sagt Donat trotzig. Die Absicht der Veranstalter, Offenheit zu signalisieren, indem sie Kritiker und Leugner des Genozids an einen Tisch holen, habe er als heuchlerisch entlarvt. „Kein seriöser Historiker würde sich mit Leugnern des Völkermords an einen Tisch setzen –ebenso wenig wie mit Holocaust-Leugnern.“

Helmut Donat ist ein Verleger mit Mission. Aufklärung nennt er seine Motivation, den Donat Verlag zu gründen. Oben Krawatte, unten Badeschlappen – so kommt er in die Wohn-Büro-Küche. Eine der beiden Auszubildenden, mit denen er den Verlag betreibt, schenkt Tee ein. Die Kekse hat sie auch selbst gebacken.

Als Historiker an der Universität Bremen hat Donat in den 70-er Jahren begonnen, sich mit dem Pazifismus im ersten Weltkrieg zu beschäftigen. Ihm wurde klar, wie wenig bis heute die Personen gewürdigt werden, die hellsichtig vor dem Faschismus und den nächsten, noch verheerenderen Krieg gewarnt hatten. Einen Verlag fand er selten für seine Schriften – und mit seinen politischen Ansichten machte er sich keine Hoffnungen auf eine akademische Karriere. Die Idee eines eigenen Verlages war geboren, und ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit bereits klar: Bei seinen Forschungen war Donat auf die armenische Frage gestoßen und schockiert, dass er als Historiker noch nie davon gehört hatte – von einem öffentlichen Bewusstsein ganz zu schweigen. „Der Genozid war die schlimmste Katastrophe des Ersten Weltkrieges. Und außerdem die größte Christenverfolgung der Geschichte“, resümiert Donat.

„Deutschland als verbündete Großmacht hätte eingreifen können“, ist er überzeugt. Doch in der deutschen Öffentlichkeit wurde der Genozid mit Hilfe der Zensurbehörden systematisch totgeschwiegen. Vor Ort blieb es den Offizieren überlassen, wie sie sich positionierten. Einige halfen den Türken, andere wie der Marschall Liman von Sanders verhinderten Massaker. Den Augenzeugenbericht von Sanders‘ Dolmetscher, des späteren Journalisten und Antifaschisten Heinrich Vierbücher, hat Donat jetzt neu aufgelegt. Nicht ohne tagespolitische Hintergedanken: „Die deutsche Position hat sich seit 1915 nicht geändert“, findet Donat. Um die deutsch-türkischen Beziehungen nicht zu belasten, werde die Geschichte ausgeklammert. „Die Leugnung des Genozids muss unter Strafe gestellt werden wie in der Schweiz“, fordert er. Jetzt hat er sich doch in Rage geredet. Dabei wollte er sich längst vom „jugendlichen Fanatismus“ verabschieden. „Wenn man älter wird, will man nicht mehr nur durchs Blut waten, sondern auch mal die Blumen wachsen sehen.“ abe

Heinrich Vierbücher, Armenien 1915, Donat Verlag, 12€