„Das war ein Tabu“

ZEITGESCHICHTE Der Pastor Ingbert Lindemann hat die NS-Vergangenheit seiner Gemeinde erforscht

■ war zwischen 1976 und 2008 Pastor der Christophorusgemeinde Aumund-Fähr.

taz: Herr Lindemann, Sie haben die Geschichte der evangelische Kirche und der Aumunder Juden, deren Synagoge 1938 angezündet wurde, recherchiert und aufgeschrieben. Gibt es in anderen Kirchengemeinden vergleichbare Fälle?

Ingbert Lindemann: Das kann ich im Detail nicht beantworten. Aber es sind natürlich viele Kirchenchroniken mit Blick auf den Nationalsozialismus noch gar nicht geschrieben worden. Und da gibt es einige Gemeinden in Bremen, die sich ganz furchtbar verhalten haben. Der Antisemitismus war ja schon vor 1933 in Deutschland sehr verbreitet und dabei vor allem auch in christlichen Kreisen. Die bürgerliche Schicht war nationalkonservativ und obrigkeitshörig. In Aumund etwa hat jemand aus der Kirchenleitung, das ist auf einem Foto zu erkennen, den Anschlag auf die Synagoge unterstützt.

Sie haben 30 Jahre vor Ort zu dieser Zeit recherchiert: Sind Sie dafür anfeindet worden?

Nein.

Haben Sie nie gehört, Sie sollten es gut sein lassen?

Doch. Ich habe bei goldenen Konfirmationsfeiern Postkarten gezeigt und dabei auch die Geschichte der Synagoge erzählt. Das haben mir einige zu meiner Verwunderung sehr übel genommen. Die waren damals ja selbst erst 14, 15 Jahre alt.

Lebten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch Täter oder Opfer?

Täter nicht mehr und Wilma Huntemann, die Enkelin der jüdischen Christin Marie Huntemann, die sich 1942 mit 79 Jahren umbrachte, weil sie ins KZ deportiert werden sollte, ist vor kurzem verstorben.

Hat diese vor den Gesprächen mit Ihnen über das Thema gesprochen?

Nein, das war in der Familie ein Tabu, erst durch das Buch hat sich das geändert. Das liegt daran, dass die einfach hier leben wollten, als Christen und Deutsche und nicht als Außenseiter.

Interview: eib

Vortrag zur Rolle der Kirche im Leben von Aumunder Juden: 19.30 Uhr, Forum Kirche, Hollerallee 75