LESERINNENBRIEFE
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Hierarchie und Macht

■ betr.: „Endlich redet die Kirche“, taz 30. 1. 10

Ich finde es gut, dass ihr mitunter auch für „bewegte“ LeserInnen unbequeme Positionen vertretet und so dazu anregt, überkommene, vertraute Überzeugungen neu zu überdenken. Umso entsetzter war ich heute Morgen, als ich den Kommentar von Nina Apin zu den Vorfällen im Canisius-Kolleg las. Insgesamt ist er wohlwollend formuliert, was das Verhalten des Rektors, Pater Klaus Mertes, angeht. Ich hätte mir diesbezüglich eine etwas kritischere Betrachtung gewünscht, zumal ja rechts neben dem Kommentar in dem Artikel „Noch mehr Missbrauchsopfer“ jede Menge Hinweise zu finden waren, über die jede/r mit dem Thema „sexuelle Gewalt“ auch nur im Ansatz vertraute JournalistIn hätte stolpern müssen.

Was mich aber im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen hat, war der Schlusssatz von Nina Apin: „Langfristig würde wohl die Abschaffung des Zölibats für Priester am meisten bewirken.“ Hinter dem Satz steckt die irrige und überkommene Annahme, dass sexuelle Übergriffe von Priestern die zwangsläufige Folge von erzwungener sexueller Enthaltsamkeit seien. So nach dem Motto „na, wenn er denn seine Frau pimpern dürfte, dann müsste er ja keine Kinder begrapschen“. Ganz zu Ende gedacht hieße das: „Seine Frau hätte der Priester missbrauchen dürfen, Kinder nicht.“

Ich weiß nicht, wie viele Artikel in der 30-jährigen Geschichte der taz schon zum Thema „sexuelle Gewalt“ veröffentlicht wurden. Auf jeden Fall spielt ihr doch eine Vorreiterrolle und habt über dieses Thema schon reflektiert berichtet, als andere Blätter noch den „bösen, schwarzen Mann“ vorgestellt haben. Deshalb begreife ich nicht, wie Nina Apin so etwas schreiben kann. Sie demütigt damit die Opfer, degradiert sie zu sexuellen „Ersatzobjekten“, verharmlost so die Taten und liefert damit Menschen, die sexuell übergriffig handeln, geradezu eine Argumentationsvorlage.

„Missbraucher“ praktizieren eine abnorme, kriminelle Form der Sexualität. Mit Vorsatz, Berechnung und der erklärten Absicht, ihre Opfer zu demütigen und ihnen zu schaden. Dahinter steckt das Bedürfnis, Macht über andere auszuüben und sich selbst damit aufzuwerten. Viele Missbraucher sind gleichzeitig ehemalige Opfer. Nicht „Normalos“, die zufällig Priester wurden und nun unter der „unnatürlichen Enthaltsamkeit“ so sehr leiden, dass sie nicht anders können, als … Das Thema der katholischen Kirche ist nicht das Zölibat, sondern Hierarchie und Machtmissbrauch sind es. Diese Erkenntnis ist so banal, dass ich mich fast schäme, sie hier so formulieren zu müssen. ANGELIKA OETKEN, Berlin

Wiedergeburtsglaube

■ betr.: „Männer durchschaut man leichter“, Interview mit der Wahrsagerin Mona Stein, taz vom 25. 1. 10

Der Artikel enthält die Aussage „Der Glaube an ein früheres Leben ist aber nicht christlich.“ Ich würde hier korrigieren wollen: nicht kirchlich. In seinem Buch „Bruder Jesus – Der Nazarener aus jüdischer Sicht“ schreibt der bekannte jüdische Religionswissenschaftler Schalom Ben Chorin: „Der Gedanke der Wiedergeburt ist im Judentum der Zeit Jesu offensichtlicher Volksglaube … So hielten die Leute Jesus für einen der alten Propheten, der wiedergekommen ist (Luk. 9, 8 und 19). Im Talmud finden sich oft merkwürdige Notizen, die auf einen Seelenwanderungs- oder Wiedergeburtsglauben schließen lassen, wie etwa die Bemerkung: ‚Mordechai, das ist Samuel.‘ Hier will gesagt sein, dass der Jude Mordechai, der Onkel der Königin Esther, eine Wiedergeburt des Propheten Samuel war …“ (dtv-Taschenbuch, München 1977, S. 25) Weitere Hinweise unter http://www.theologe.de/theologe2.htm#8. RALF BÖHM, Berlin