Islamisten proben den Aufstand

BANGLADESCH Bisher war die islamistische Partei Hefajat-e-Islami kaum bekannt, doch jetzt mobilisierte sie in Dhaka 200.000 Demonstranten

„Tod den Atheisten“, schallt es durch die Straßen von Dhaka

AUS DHAKA LALON SANDER

Dhakas Innenstadt sah aus wie von einem weißen Meer geflutet: Am Sonntag demonstrierten 200.000 Islamisten in Bangladeschs Hauptstadt für die Todesstrafe auf Blasphemie, für die Wiedereinführung des Bezugs auf Gott in der Verfassung und für strikte Geschlechtertrennung. So blieb die Demo der islamistischen Partei Hefajat-e-Islam (HI) Männern vorbehalten, deren weiße Gewänder und Kappen das Finanzviertel der Stadt füllten. „Tod den Atheisten“, schallte es durch die Straßen.

Die Forderungen der HI hatte Regierungschefin Sheikh Hasina zuvor abgelehnt, da die bestehenden Gesetze Blasphemie ausreichend bestraften. Die Regierung genehmigte die Demonstration, forderte die Islamisten aber auf, friedlich zu bleiben und die Stadt abends wieder zu verlassen. In der Nacht kam es dann zur Eskalation, als HI-Funktionäre erklärten, sie wollten die Innenstadt besetzt halten, bis ihre Forderungen erfüllt seien.

Vor Dhakas größter Moschee kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei. Dabei zündeten die Islamisten Läden, Autos und eine Polizeiwache an, die Polizei setzte Gummigeschosse, Tränengas und auch scharfe Munition ein. Bis zum morgen starben nach offiziellen Angaben 28 Menschen, darunter drei Polizisten. In der Nacht gelang es Polizei, Paramilitärs und Grenzschützern, die Innenstadt gewaltsam zu räumen. Pressebilder zeigten, wie Hunderte HI-Anhänger mit erhobenen Händen von der Polizei wegeskortiert wurden.

Die HI ist eine vergleichsweise neue Erscheinung. Umso erstaunlicher ist, dass sie so viele Menschen bislang mobilisieren konnte. Bereits im April hatte HI mehr als 100.000 Menschen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gebracht. Anlass für den HI-Aufstieg waren die Shahbagh-Proteste im Februar, die unter anderem von offen atheistischen Bloggern angestoßen wurden. Zehntausende gingen damals in der bengalischen Version der Arabellion auf die Straße, als ein Kriegsverbrecher aus dem Unabhängigkeitskrieg 1971 „nur“ zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde – die Demonstranten forderten seine Erhängung. Er und zwei weitere bisher verurteilte Kriegsverbrecher gehören der prominenteren islamistischen Partei Jamaat-e-Islami (JI) an. Die Shahbagh-Proteste richteten sich deshalb auch gegen Islamisten, was als Angriff auf den Islam verklärt wurde. Während die öffentliche Disqualifizierung der JI als Kriegsverbrecherpartei der HI eine politische Lücke öffnete, verhalf ihr der populistische Aufruf zum „Schutz des Islam“ zum Aufschwung.

HI ist auch Teil des Machtkampfes vor den Parlamentswahlen im Herbst zwischen den beiden Volksparteien, der regierenden Awami Liga und der BNP. Die bisherige Regelung, dass die Wahlen von einer neutralen Interimsregierung durchgeführt werden, schaffte die Awami Liga ab. Die BNP fürchtet nun Wahlfälschung. Seit Wochen legen Oppositionsparteien Dhaka regelmäßig mit Generalstreiks lahm. Auch die HI-Demonstration wurde von der BNP unterstützt.

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