american pie
: Zitternde Colts

Die Footballer aus Indianapolis schienen unschlagbar. Nach längerer Pause wissen sie nun nicht, ob sie es immer noch sind

Es war einmal eine Football-Mannschaft, die schien unschlagbar. Der Angriff spurtete hurtig und scheinbar schwerelos übers Feld, die Verteidigung wischte mit den Gegnern den Kunstrasen des heimischen Stadions. Nichts und niemand schien die Indianapolis Colts stoppen zu können, Kommentatoren, Verantwortliche und Spieler sprachen gar davon, in dieser Saison womöglich kein einziges Spiel verloren geben zu müssen. Dass die Super Bowl erreicht und auch gewonnen würde, erschien wie eine Selbstverständlichkeit.

Wie eine Ewigkeit scheint diese Zeit nun entfernt: In Indianapolis hat das große Zittern eingesetzt. Dabei ist eigentlich gar nichts Besorgniserregendes passiert, jedenfalls nichts Sportliches. Zwar verloren die Colts zwei Spiele, aber zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass sie sich den Heimvorteil in den Play-offs gesichert hatten. Das seltsame Play-off-Format der NFL sorgt allerdings dafür, dass die besten vier Mannschaften erst zum Viertelfinale am kommenden Wochenende eingreifen und damit eine recht lange Pause verkraften müssen, bevor es wieder ernst wird. Und die Colts wurden sogar seit Mitte Dezember nicht mehr richtig gefordert, denn als es um nichts mehr ging, durften sich endlich die Bankdrücker austoben, um keine Verletzungen der Stars zu riskieren.

Nun macht man sich Sorgen, dass zwar alle Verletzten und Angeschlagenen erholt sind, dafür aber die automatisierten Abläufe – vor allem des Angriffs um Quarterback Peyton Manning – eingerostet sein könnten. Mit den Pittsburgh Steelers kommt am Sonntag zudem eine Mannschaft in den RCA Dome, die am vergangenen Wochenende bei ihrem 31:17-Auswärtserfolg in Cincinnati nicht nur überzeugte, sondern die Bengals zeitweise vorführte. Die Steelers leben von ihrem starken Laufspiel um den schwergewichtigen Jerome Bettis, der „The Bus“ genannt wird, und den Kunstgriffen ihres schnauzbärtigen Trainerveteranen Bill Cowher. Der lässt die gegnerische Verteidigung gern mal verwirrende Trickspielzüge ausführen, in denen aus einem Ballträger oder dem Kicker plötzlich der Quarterback wird. Wenn sie gelingen, sieht der Gegner schlecht aus. Wenn sie misslingen, und das Risiko ist hoch, kommt der Gegner in eine weitaus bessere Position.

Vor allem die Medien zerbrechen sich zudem den Kopf, welchen Einfluss die private Tragödie von Colts-Chefcoachs Tony Dungy auf die Mannschaft haben könnte. Als dessen Sohn James im Dezember Selbstmord beging und Dungy zwischenzeitlich die Leitung des Teams an seinen Assistenten übergab, um sich um seine Familie zu kümmern, wurde gar spekuliert, dass er den Trainerjob ganz aufgeben würde. Seit der Trainer zurück ist, lautet die Frage nun: Sind die Ereignisse der letzten Wochen eine Ablenkung oder womöglich sogar zusätzliche Motivation für die Colts? „Meine Spieler stehen mir sehr nahe“, wehrt Dungy alle Spekulationen ab, „aber darum geht es nicht in den Play-offs“.

Zweifel haben auch den wahrscheinlichen Gegner der Colts in der Super Bowl befallen. Die Seattle Seahawks haben zwar statistisch gesehen den besten Angriff der Liga, nominell eine der besten Verteidigungsreihen und das ganze Jahr nur drei Spiele verloren, aber eine dieser Niederlagen fügten ihnen ausgerechnet jene Washington Redskins bei, die die lange Reise in den äußersten Nordwesten der USA antreten werden, um am Samstag im Qwest Field aufzulaufen. „Ich gehöre nicht zu denen, die wegen einer einzigen Niederlage erklären, diese Saison sei nichts wert gewesen“, erklärte Seahawks-Trainer Mike Holmgren vorsorglich und widersprach sich gleich selbst, „aber das ist ein wichtiges Spiel und wir müssen es gewinnen“. Die Tickets waren denn auch innerhalb von zehn Minuten ausverkauft. Schließlich kann niemand wissen, wann die Seahawks mal wieder Play-off-Luft schnuppern dürfen. Der letzte Play-off-Sieg des Teams liegt 21 Jahre zurück. THOMAS WINKLER