„Wer das formuliert hat, war besoffen oder hat kein Gefühl“

Der CDU-Politiker Bülent Arslan über Fragenkataloge für einbürgerungswillige Türken, ministerielle Vorurteile, türkischstämmige WählerInnen und ausgestochene Augen

taz: Herr Arslan, fühlen Sie sich in der CDU fremd?

Bülent Arslan: Ich fühle mich voll und ganz zu Hause.

Immerhin hat einer der wichtigsten CDU-Politiker, Günther Oettinger, in Baden-Württemberg ein Einbürgerungsverfahren eingeführt, dass Ihrer Meinung nach Entfremdung bewirkt.

Ja, diese Praxis halte ich für absolut falsch – in integrationspolitischer Hinsicht, aber auch aus dem Werteverständnis der CDU heraus.

Warum?

Wir müssen Menschen, die hier leben wollen, das Gefühl vermitteln, dass sie nicht ausgegrenzt werden. Gerade in Deutschland lebende Muslime und Türkischstämmige fühlen sich subjektiv benachteiligt. Das ist in vielen Bereichen gar nicht der Fall. Aber die Leute empfinden das so. Da darf man nicht hingehen und gerade dieses Gefühl bedienen. Die CDU hält die Werte Freiheit und Gleichheit hoch – dem widerspricht der Fragebogen.

Das Deutsch-Türkische Forum in der Union hat unter Ihrer Führung einen geharnischten Brief an Oettinger geschrieben.

Wir haben das im Vorstand beraten und dann den Ministerpräsidenten aufgefordert, diese Maßnahme zu stoppen. Die muslimische Bevölkerungsgruppe in Deutschland – über drei Millionen Menschen – muss sich unter Generalverdacht gestellt sehen.

Ist es falsch, mit Einwanderern Haltungen zu diskutieren – zum Beispiel die in der Verfassung verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau?

Absolut richtig. Es ist ein Versäumnis, dass man darauf in der Vergangenheit nicht geachtet hat. Es ist ja völlig klar, dass unter den Einwanderern Leute sind, die die Werte der Bundesrepublik nicht akzeptieren. Aber das ist eine kleine Gruppe, und man muss sich überlegen, wie man die raushält. Man kann das nicht machen, indem man die große Mehrheit ausgrenzt. Es gibt ein türkisches Sprichwort, das sagt: Während man die Augenbrauen zupfen will, darf man nicht das Auge ausstechen. Daran erinnert mich diese Praxis.

Sie selbst kamen 1976 aus der Türkei nach Deutschland. 1997 wurden Sie Deutscher. Wie lief damals die Einbürgerung?

Es dauerte fast zwei Jahre, das lag aber mehr an den türkischen Behörden. Dann hat mir der zuständige Beamte die Urkunde überreicht. Es war ein eher belangloser Verwaltungsakt: Wie die Zulassung eines Pkw. Auch das halte ich für falsch. Die Städte und Gemeinden sollten die Eingebürgerten feierlich aufnehmen.

Seien Sie doch froh, dass Sie keinen Test machen mussten. Was hätten Sie denn da über Ihre neue Heimat gedacht?

Ich hätte nichts anderes über Deutschland gedacht. Aber ich hätte mich vor den Kopf gestoßen gefühlt. Mit derartigen Fragen stoßen wir die meisten der Einbürgerungsbewerber vor den Kopf. Wir isolieren sie und machen klar, dass auch die Einbürgerung keine völlige rechtliche Gleichstellung bedeutet, sondern dass man sich Wege offen halten will, ihnen doch irgendwann die Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen.

Baden-Württembergs Regierung betont, die Fragen würden bei Zweifeln auch anderen Einbürgerungswilligen gestellt, nicht nur Muslimen. Ist es also gar kein Muslim-Test?

Ach ja? Man versucht das so zu drehen. Die Frage ist doch, mit welchen Instrumenten man vorgeht. Und es kann nicht sein, dass man Fragen auf der Basis von Vorurteilen formuliert – egal an wen sie sich richten. Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Wer das geschrieben hat, war entweder besoffen oder er hat überhaupt kein Gefühl für derartige Fragen.

Sie haben auch eine Frage kritisiert, in der ein Zusammenhang zwischen Juden und den Anschlägen des 11. September hergestellt wird. Warum?

Das ist ein Beleg, dass hier mit Vorurteilen gearbeitet wurde. Wie kann man eine Frage in einem offiziellen Leitfaden auf die Grundlage antisemitischer Vorurteile stellen! Das will mir nicht in den Kopf.

Glauben Sie, dass den Wahlkämpfer Oettinger die paar Muslime in der CDU kümmern?

Das müsste man Herrn Oettinger fragen. Aber wir werden mittelfristig auf Bundesebene, in vielen Bundesländern und Großstädten keine Wahlen gewinnen, wenn wir nicht die türkischstämmigen Deutschen für uns gewinnen. Das muss allen klar werden, auch Herrn Oettinger.

Wie hoch ist das Wählerpotenzial für Ihre Partei?

Die Gruppe der Türken in Deutschland wählt mehrheitlich nicht CDU. Auf der anderen Seite sind das Leute, die sich im konservativ-liberalen Spektrum wiederfinden: Potenzielle CDU-Anhänger. Aber mit solchen Aktionen gewinnen wir sie nicht.

Was wollen Sie jetzt tun?

Wir werden einige Tage auf eine Reaktion warten. Wenn nichts passiert, rufen wir in der CDU zu einer Unterschriftenaktion auf.

Sie sitzen in Düsseldorf. Gibt es auch Türken in der CDU-Baden-Württemberg, die Ihrer Meinung sind?

Ich habe von keinem muslimischen Politiker aus welcher Partei auch immer gehört, dass er dem Fragebogen etwas abgewinnen kann. Das sagen auch die Freunde vor Ort.

Haben Sie auch Unterstützer unter CDU-Politikern, die keine Muslime sind?

Jeder klar denkende Mensch, viele CDU-Bundestagsabgeordnete und viele Landtagsabgeordnete sagen: So etwas wie in Baden-Württemberg kann man nicht machen. Natürlich äußert sich niemand, weil die Freunde im Südwesten im Wahlkampf stehen. Aber je mehr sich die Sache zieht, desto mehr wird es der CDU schaden.

INTERVIEW: GEORG LÖWISCH