Vorsicht, Hochspannungsrauschen!

CLUB TRANSMEDIALE Meditieren mit Krach: Die Woche des Club Transmediale begann im WMF mit einem hochkarätig besetzten Freiform-Gipfeltreffen

Die Klänge gingen eine so heftige Verbindung ein, dass die Luft knapp wurde

VON TIM CASPAR BOEHME

Das Musikprogramm des Club Transmediale ist bekannt für seine Mischung unterschiedlichster Genres von filigran bis zu brachialen Lärm. Entspannung gehört eher nicht ins Programm. Stattdessen steigert sich der Druck im Verlauf eines Abends oft mit gnadenloser Konsequenz bis zur völligen Erschöpfung.

Auch die illustre Runde von Krachkundigen am Montag stellte die Zuhörer im WMF auf eine Belastungsprobe. Mit der Feststellung, dass Musik organisierter Lärm ist, kann man vermutlich niemanden mehr groß überraschen. Umso faszinierender ist es zu hören, welcher Nuancenreichtum in der Organisation von Lärm steckt. Der Berliner Multiinstrumentalist Guido Möbius zum Beispiel schaltete scheinbare musikalische Gegensätze parallel und ließ sie sich aneinander reiben, bis sie heißliefen. Seine Arbeitsweise ist dabei zunächst recht übersichtlich. Er nimmt ein paar Gitarrentöne, dazu einen Beat, dadaistischen Gesang oder andere Geräusche, um alles in Echtzeit zu loopen und dann mit den Überlagerungen zu spielen. Zu seinen mutierenden Schleifen kann man durchaus tanzen, wenn man will, oder man freut sich einfach daran, wie bei ihm Noise, Funk und spontane Einfälle zu einem Ganzen gefügt werden, das seine Ambivalenz bewahrt, ohne beliebig zu klingen.

Formstrenger präsentierte sich der Schweizer Komponist Michael Wertmüller mit einem Programm von Kompositionen, die er im Auftrag des Studios für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste schrieb. Wertmüller, in den Neunzigern Schlagzeuger der experimentellen Jazzmetalband Alboth! und regelmäßiger Partner von Free Jazz-Legende Peter Brötzmann, spielte drei Stücke für Elektronik und Schlagzeug der Ausnahmeklasse. Sein Trommelstil vereint höchste Präzision mit brutaler Heftigkeit, die Musik ist eine Art Start-Stop auf höchstem Komplexitätsniveau. Wertmüllers verschachtelten Hochgeschwindigkeitsrhythmen beim Hören nachvollziehen zu wollen, ist schier unmöglich oder zumindest sehr, sehr schwierig.

Auch wenn der Schweizer als Einziger an diesem Abend nach Noten spielte, hatte seine Musik so gar nichts von der manchmal blutleeren bis stinklangweiligen Zerebralität akademischer elektroakustischer Musik. Bei ihm gingen die Klänge vielmehr eine so heftige Verbindung ein, dass einem die Luft knapp wurde.

Eine Steigerung schien nach Wertmüllers Rhythmuskonzentraten unmöglich. Doch zum Glück waren da noch Keiji Haino und die Finnen Mika Vainio und Ilpo Väisänen, Letztere besser bekannt als Pan Sonic, die gegeneinander antraten, um das WMF das Fürchten zu lehren. Der stets schwarzbekittelte japanische Avantgarde-Experimentalist Haino hatte sich vor gut zwei Jahren schon einmal mit dem Duo Pan Sonic in der Volksbühne eingefunden, um musikalische Gemeinsamkeiten und Gegensätze zu erkunden. Pünktlich zum Erscheinen des Konzertmitschnitts gaben sich die drei so wortkargen wie klangmächtigen Herren noch einmal die Ehre und ließen stoische Brummfrequenzen mit rudimentären Beats auf die tendenziell unberechenbaren Gitarrenausbrüche Hainos prallen. Mit Erfolg.

Nach einer nahezu undurchdringlichen Klangwandgestaltung ließen die beteiligten Musiker in der zweiten Hälfte ihres Auftritts überraschend durchblicken, dass sie auch zartere Seiten haben. So beschränkten sich Väisänen und Vainio irgendwann auf ein minimales Beatgerüst, über das Haino ein fast lyrisches Freejazz-Solo legte. Bevor sie endgültig die Bühne verließen, durfte es selbstverständlich noch einmal laut werden.