Nachfrage nach Sterbehilfe schaffen

„Der moderne Tod“ im Schauspielhaus: Gesundheits- und Sozialexperten diskutieren die Endlösung der Altersfrage

„Es muss wieder natürlich werden, zu sterben, wenn die aktive Zeit vorbei ist“

Nicht erst Michel Houellebecq hat das Alter als Geißel der Gesellschaft thematisiert. Der schwedische Schriftsteller Carl-Henning Wijkmark verfasste bereits Ende der siebziger Jahre seinen Text „Der moderne Tod – Vom Ende der Humanität“. Der Autor war damals gerade mal 40 Jahre alt, das hoch gelobte „schwedische Modell“ begann leise zu bröckeln, und Wijkmarks Mutter rang im Krankenhaus mit dem Tod.

„Damals bemerkte ich, wie sparsam mit schmerzmildernden Mitteln umgegangen wurde, und war empört“, erzählt der heute 71-Jährige über seine Beweggründe, ein Stück über die Entsorgung der Alten zu schreiben. In „Der moderne Tod“, das heute im Hamburger Schauspielhaus Premiere hat, diskutieren sechs Gesundheits- und Sozialexperten darüber, wie man in einer Demokratie die Generationenfrage politisch korrekt lösen kann. Das klingt recht harmlos. Doch das so genannte Expertengespräch entpuppt sich als Konferenz über die Endlösung der Altersfrage.

Es ist erstaunlich, dass Wijkmarks Buch bei seiner Veröffentlichung nur wenig Aufmerksamkeit erregte. Denn seine Thesen sind in ihrer Radikalität verstörend, zynisch und oft hart an der Grenze des Erträglichen. „Der Wert eines Lebens muss in erster Linie gesellschaftlich und wirtschaftlich beurteilt werden“, äußert sich einer aus der Expertenrunde. Denn: „Warum sollen wir über eine Alterskontrolle oder eine Todeskontrolle nicht genauso gut diskutieren können wie über die Geburtenkontrolle?“

Auf geradezu gruselige Weise finden sich in dem Text, den Regisseurin Crescentia Dünßer für die Hamburger Bühnenfassung bearbeitet hat, Standards und Phrasen aus den Etagen der Wirtschaftsbosse: „Wie kann die Gesellschaft innerhalb der betreffenden Gruppen eine Nachfrage nach Sterbehilfe schaffen?“ Mit dieser leidigen Frage müssen sich die Experten als Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft nun mal beschäftigen, auch wenn sie am liebsten eine gesetzlich fixierte Altersgrenze einführen würden.

Wijkmark baut immer wieder ironische Brüche ein, etwa wenn einer der Diskutanten die Fitness-Kultur zum Grabträger einer funktionierenden Gesellschaft erklärt: „Jetzt sitzen wir da mit einer Menge gut trainierter Rentner, die sehr gut weiterarbeiten könnten und es auch tun würden, wenn sie eine Chance bekämen.“ Doch das Lachen stockt, als sich herauskristallisiert, wie die Alten dazu gebracht werden sollen, den Löffel freiwillig abzugeben – nämlich durch konstanten psychologischen und gesellschaftlichen Druck: „Es muss wieder natürlich werden, zu sterben, wenn die aktive Zeit vorbei ist.“ Denn warum sollte es nicht wie im Beruf auch im Leben heißen: Vielen Dank für deinen Beitrag und Tschüss!

Der Tod muss den widerstrebenden Senioren nur noch richtig verkauft werden: Sie erhalten die staatliche Garantie, dass die Gesellschaft ihnen ein schmerzloses Scheiden zusichert, „wenn sie ein bestimmtes Stadium einer hoffnungslosen Krankheit, Hilflosigkeit oder Altersschwachheit erreicht haben“. Solange dies noch nicht möglich ist, gibt es fürs Erste das „Projekt B“: Dieses sieht die „Resteverwertung“ toter Körper vor. Goldzähne, Fett und Knochen sollen für die chemisch-technische Industrie weiterverwertet werden. Das schafft Arbeitsplätze.

Bei solchen Aussagen packt jeden das Grauen. Und doch, sagt Autor Wijkmark, sei das eigentlich Schockierende, dass sich der Mensch mehr über das Schicksal eines toten Körpers empöre als darüber, „was mit den Lebendigen gemacht wird“. Er spüre, sagt Wijkmark, dass gerade in Deutschland – bedingt durch die NS-Vergangenheit – eine „besondere Empfindlichkeit“ für das Thema Sterbehilfe bestehe. Es sei wichtig, diese Sensibilität beizubehalten.

Auf Lösungen darf der Zuschauer nicht hoffen, so viel verrät Wijkmark über die Bühnenadaption am Schauspielhaus. „Jeder muss nach Hause gehen und selbst nachdenken.“

Carolin Ströbele

Premiere 12. 1., weitere Vorstellungen 14., 20., 30. 1., 20 Uhr, Schauspielhaus